Träumerei und Revolte!

Wie nah ist uns das Biedermeier? Zwischen Häuslichkeit und Fernweh, Repression und Revolutionsgedanken zeigt sich eine Zeit voller Widersprüche. Ein Besuch in der Biedermeier-Ausstellung im Leopold Museum.

Johann Baptist Reiter, Die Nudelesserin, 1849 © Leopold Museum, Wien, /// Foto: Leopold Museum, Wien.

Zwischen Krieg und Revolution, nach der politischen Neuordnung und eiliger dynastischer Restauration lässt sich eine Epoche ausfindig machen, die immer wieder stiefmütterlich behandelt wurde. Ihr Name: Das Biedermeier, ist seit jeher ein Synonym für Freundschaftsalben mit Glanzbildern und Sammeltassen auf dem furnierten Buffet. Dieser Konnotation stellt sich nebst Kunstgewerbeforscher*innen nun auch das Leopold-Museum entgegen und zeigt in der Ausstellung Biedermeier. Eine Epoche im Aufbruch: so bieder ist es nicht.

Wenn Biedermeier und Österreich zusammenfinden, dann sind Rudolf von Alt, Ferdinand Georg Waldmüller, Friedrich von Amerling und Co. nicht weit. Das Leopold fördert neben dem Altbekannten - Waldmüllers Bauernreigen und Rudolf von Alts trübäugigen Aquarellen - auch zahlreiche Überraschungen zutage.

Ernst Christian Moser, Bildnis der Mutter des Künstlers, 1859 © Neue Galerie Graz am Universalmuseum Joanneum, Foto: Universalmuseum Joanneum/Lackner

Die genrehaften Portraits Johann Baptist Reiters erinnern mit ihrem offenen Pinselstrich an die frühen Realisten wie Wilhelm Leibl, Ernst Christian Mosers Portrait seiner Mutter lässt uns an den Amerikanischen Realismus unter Grant Wood denken. Und verdutzt blickt man auf das Selbstportrait Giuseppe Tominzs, der uns gar nicht so steif und nobel, sondern gar hockend als Ganzfigur entgegenlacht. Mit einem Wort: Das Biedermeier ist innovativ, frisch und technisch auf höchstem Niveau - stimmungsvoll sind die Werke noch obendrein.

Lässt man also ab von den Scharen der Bauernmädchen auf Waldmüllers spotlight-artig beleuchteten „Alltagsszenen“, findet man in der Ausstellung eine Reihe malerischer Glanzstücke vor. Eines davon sind die lieblich gemalten Gesichter der Grafenkinder von Goess, gemalt von Franz Schrotzberg 1852. Das empfindsame Talent der Biedermeiermaler*innen für Portraits zeigt sich hier deutlich, auch Johann Baptist Reiter, Amerling oder Franz Eybl fangen die fein nuancierten Regungen und Eigenarten der Portraitierten auf und brillieren mit minutiösem Detailrealismus.

Nähe und Distanz zur Romantik

Betrachtet man dann die Landschaften Friedrich Gauermanns, Johann Peter Kraffts oder Schrotzbergs, erklingen wie im Echo die Melodien von Träumereien, Einsamen Blumen aber auch Verrufenen Stellen im dichten, undurchdringbaren und mythischen Wald von Schumanns Klavierzyklen, die etwa zeitgleich entstehen und die Sehnsucht nach unberührter Natur in einer eigentlich industrialisierten Wirklichkeit propagieren. Das sind ästhetische Formeln, die auch die Romantiker*innen umtreiben. Doch wenn sich Seume, Friedrich oder Lessing in den deutschen Eichenwäldern verlaufen, finden die Maler und Dichterinnen des Biedermeier immer wieder zurück in beschauliche Städtchen oder ins warme Bauernhaus. Der dichte Wald, voller wilder Gefahren, wird dann zur pedantisch gehegten Gartenparzelle oder zur sezierten Natur in Form von kleinen Rosenbukettchen.

Friedrich Gauermann, Heimkehr vor dem Gewitter, 1845 © Leopold Museum, Wien, Foto: Leopold Museum, Wien

Wenn Landschaft, dann im Vergleich zu den Romantiker*innen präzise und klar erkennbare Szenerien vom Salzkammergut bis nach Italien und darüber hinaus in ferne Welten; wie in das durch die Napoleonischen Kriege wiederentdeckte Ägypten, das als motivische Folie in zahlreichen Bildgattungen rezipiert wird - Exotisierung und kulturelle Stereotype eingeschlossen.

Der romantische „Drang in die Ferne“ konglomeriert im Biedermeier zu einer nicht nur kulturellen, sondern auch ökonomischen Neugierde am „Fremden“. Nahöstliche, südamerikanische und asiatische Textilerzeugnisse sind der neueste Schrei, doch auch aus der Lombardei kommt die Rohseide, die in den Wiener Manufakturen verarbeitet wird.

Ausstellungsansichten "Biedermeier" © Leopold Museum, Wien, Foto: Leni Deinhardstein

Die Dame, die was auf sich hält, lässt sich Kaschmirschals aus dem Himalaya importieren, die leicht den Preis eines ganzen Wohnhauses erreichen können. Wer sich das nicht leisten kann, muss auf die „Wiener Shawls“ ausweichen, die am Stephansplatz durch Josef Arthaber verkauft werden.

Kostüm- und Modebegeisterte können erleben, wie die Stoff- und Musterfabrikation im österreichischen Biedermeier Hochkonjunktur hat, die ausgestellten Stoffproben und Kleider können sofort mit ihren gemalten Pendants auf den Bildern von Josef Abel oder Schrotzberg verglichen werden. Eine interdisziplinäre Ausstellung, wie man sie sich nur wünschen kann und die nicht wie aktuell in anderen Häusern der Stadt dazu neigt, zu einer Melange aus wissenschaftlichen Instrumenten und scheinbar beliebig ausgewählten Exponaten auszuarten. Der Versuch des Museums, den Fokus auf den Gemälden mit aussagekräftigen Exponaten zu einem Sittenbild der Zeit zu machen, ist durchaus gelungen. Starke und überraschende Objekte im Bereich der Möbelkunst, der Stoffmuster (die Fellimitationen der Gebrüder Mestrozi mit Leo-Print!), sowie einige böhmische Glaswaren sind zu bestaunen.

Enttäuschend nur, dass aus dem Bereich des Porzellans nur eine einzelne Sammeltasse der Porzellanmanufaktur Wien ausgestellt wird. Hier ist die Chance deutlich vertan, das wahrlich „spießbürgerlich“ in Missgunst gefallene Material neu zu präsentieren. Ist doch das Biedermeier auch eine Zeit, in der die subtile und duftige Blumenmalerei im Miniaturformat nicht nur auf den Leinwänden blüht.

Parallelen zu heute?

Weiterhin verpasst die Ausstellung die Möglichkeit, auch den Aspekt der erstarkenden Industrialisierung mit den oft folkloristisch anmutenden Trachtenbildern in Beziehung zu setzen. Denn die Biedermeier-Bilder sind Dokumente des Abschiedes und zeigen oft eine unberührte und vorindustrielle Wirklichkeit, die es so seit den 1810er Jahren gar nicht mehr gibt. Basale Themen der Zeit wie die forcierte Frömmigkeit, das Familienleben sowie die Rolle des Theaters werden höchstens im Katalog erwähnt und nur für Besucher*innen mit dem Vergrößerungsglas in der Ausstellung erfahrbar, auch hier hätte man sich eine facettenreichere Aufschlüsselung des gesellschaftlichen Lebens gewünscht. In der damaligen (und heute allzu vertraut klingenden) Zeit politischer Repression, der Einschränkung von Meinungsfreiheit und dem damit einhergehenden Rückzug ins Häusliche ist das Biedermeier als Ergebnis dieser Prozesse zu verstehen.

Die Wandtexte sind demnach auch mit Vorsicht zu genießen, als wesentliche Quelle für die Biedermeiermode werden die erstarkenden Modemagazine komplett unterschlagen, die Anekdote mit der „Musselinkrankheit“ und den reihenweise dahingerafften und nicht mehr so feuchtfröhlichen Damen, die sich aus modischen Zwecken die Musselinkleider durchnässten und durch Verkühlung gestorben sein sollen, ist auch etwas zu aufgebauscht.

Franz Eybl, Lesendes Mädchen, 1850 © Belvedere, Wien, Foto: Belvedere Wien

Genauso plakativ erscheint in diesem Kontext das Etikett „Mindful and Demure“, was zwar im Katalog auf Jane Austen anspielt, aber eher den Floskeln der Jugendsprache und aktuellen TikTok-Trends Rechnung trägt – diese selbstverschuldete Banalisierung hätte nicht sein müssen!

Dennoch lässt die Ausstellung viel erahnen und nachfühlen, was die damaligen Künstler*innen und Menschen umgetrieben hat und es könnten auch einige Parallelen zu unserer heutigen Zeit gezogen werden. Wirtschaftlicher Aufschwung, der große Bevölkerungsschichten dennoch nicht vor Armut schützt, technische Innovationen und die explosionsartige Veränderung der Infrastruktur prallen auf einen erstarkenden und repressiven Konservativismus. Politisch sowie wirtschaftlich sind es spannungsreiche und unsichere Zeiten; vor knapp 200 Jahren schafft man sich deshalb eine ästhetische, heimelige und komfortable Welt im Kleinen, nicht ohne auch immer wieder von der weiten Welt zu träumen – so ganz unähnlich sind uns die Menschen des Biedermeier also nicht.

Wer indes auf dieser Welle der träumerischen Stimmungsbilder bleiben möchte, sollte nachher nicht den Fehler machen und eine Etage weiter oben die Ausstellung aufsuchen - oder dies an einem anderen Tag nachholen. Die subtilen und einfühlsamen Einblicke in diese feinmalerische Welt des Biedermeier von Amerling und József Borsos würden sonst zu schnell von den archaischen und zeichnerisch unnachgiebigen Akten Egon Schieles zerstört werden.

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