Raubgold und Himbeereis

Intrigante Ewiggestrige, kreative Kleinganoven und eine veruntreute Truhe Zahngold: Hochwälders Verwechslungskomödie Der Himbeerpflücker in den Kammerspielen der Josefstadt.

(c) Moritz Schell

Nur sehr zaghaft näherte man sich in Österreich an die eigene Geschichte und Verantwortung des zweiten Weltkriegs heran. Dem ganzen dann auch noch mit (schwarzem) Humor zu begegnen – Österreich auf satirische Weise den Spiegel vorzuhalten – das war nun wirklich mehr die Ausnahme als die Regel. Das Paradebeispiel dazu ist wohl der Herr Karl von Helmut Qualtinger und Carl Merz. Weniger bekannt, aber in keinster Weise nachstehend: Der Himbeerpflücker von Fritz Hochwälder (die Verfilmung von 1965 übrigens ebenfalls u.A. mit Helmut Qualtinger in der Hauptrolle). Dieser ist jetzt in den Kammerspielen der Josefstadt zu sehen.

Alles braun in Bad Brauning

Es herrscht herrliche Ruhe in der kleinen Gemeinde von Braunau – pardon - Bad Brauning. Nur im Nebenort wurde vor kurzem ein Juwelier ausgeraubt. Im Stüberl des Wirtshauses zum Weißen Lamm begegnet sich täglich die Hautevolee von Bad Brauning: Der Bürgermeister und Wirt Steisshäuptl, Doktor Schnopf, Baumeister Ybbsgruber, Schuldirektor Huett, Fabrikdirektor Stadlmeier, Ziereis, seines Zeichens Postenkommandant. Bedient werden sie vom Hausknecht Zagl. Man ist sich einig: Es war nicht alles schlecht, und was war denn überhaupt, es war doch eh nix?

Helle Aufregung herrscht erst, als die Sieglinde - die Tochter vom Steisshäuptl – auf einmal mit rot gefärbtem Haar aufkreuzt. Was sollen da nur die alten Kameraden sagen, schließlich hat man als ehemaliger Ortsgruppenleiter doch einen gewissen Ruf zu wahren. Aber das ist doch schon lange her und schon gar nicht mehr wahr. Was ebenfalls schon lange aus und gar nicht mehr wahr ist, ist die Sache mit dem Zahngold. Das hat der berüchtigte „Himbeerpflücker“ einst dem Steisshäuptl zur Aufbewahrung anvertraut. Der hat das wiederrum schleunigst veruntreut.

„Himbeerpflücker“ übrigens deshalb, weil der SS-Kommandant im nahegelegenen KZ gerne die Leute zu den Himbeersträuchern geschickt hat und dann vom Turm aus hinuntergeschossen hat. Ausgerechnet der soll am Weg nach Bad Brauning sein. Und vermutlich das Gold zurückhaben wollen. Als dann ein geheimnisvoller Fremder in Ledermantel und Sonnenbrille im Wirtshaus absteigt, brennt bei so manchem der alten Kameraden der Hosenboden. So buhlen sie alle um die Gunst des vermeintlichen Hauptmannes. Und der tut sein Bestes, das meiste für sich dabei rauszuholen.

Es handelt sich hierbei tatsächlich um eine Komödie, versprochen.

Wo sich eine Türe schließt…

Das Ganze findet ausschließlich innerhalb der Gaststube des Weißen Lamms statt: Ein großer holzvertäfelter Raum mit drei Wänden. In der Mitte eine große Jukebox, aus der es immer wieder Freddy Quinn trällert, daneben ein Tisch. Sechs Türen zieren die braunen Wände. Die Erzählung, unter Regie von Stephanie Mohr, und die Bühne von Miriam Busch funktionieren dabei wie ein eng ineinandergreifendes Zahnwerk. Szenen und Räume wechseln sich dabei rein durch Auf- und Abtritte, niemals durch auch nur einen einzigen Umbau ab. Geht der Zangl durch die Türe hinten ab, erscheint er kurze Zeit später an der Bühnenkante vorne – im Stüberl. Die Gäste im Wirtshaus dürfen ruhig sitzen bleiben. Unterstützt von gezielten Lichtstimmungen trennt sich die Bühne so in mehrere Räumlichkeiten, die gleichzeitig parallel existieren können. Zwei Charaktere sitzen gerade mal zwei Meter getrennt voneinander auf der Bühne, und befinden sich dennoch in getrennten Räumen - ganz ohne eine physische Barriere. Dieser fließende Wechsel zwischen den Schauplätzen verleiht der Handlung eine geradezu filmische Qualität.

Vergangen, vergessen, vorüber

„Vergangen, vergessen, vorüber“, so der Titel des Schlagers, der regelmäßig aus der Jukebox erklingt. Die Charaktere werden mit ihrer eigenen Schuld konfrontiert, wie sie versuchen, sich gegenseitig auszustechen, sich zu bereichern oder sich gegen jeglichen Schaden abzusichern – solange man die Oberhand hat. Als sich der vermeintliche SS-Mann als gewöhnlicher Kleinganove entpuppt, entsteht eine Pattsituation – jeder hat Dreck am Stecken, doch keiner hat ein Ass im Ärmel. So kommt man miteinander ins Geschäft. Man einigt sich, dass eh nichts war, jetzt, damals und überhaupt so generell.

“Der Himbeerpflücker” überzeugt als bissige Nachkriegssatire mit hingebungsvollem Ensemble im Gewand einer seichten und teilweise leicht anzüglichen Verwechslungskomödie (à la „Meine Tochter wohnt in Wien“, „Popcorn und Himbeereis“, und wie sie nicht alle heißen.)

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