Festwochen-Logbuch 2025

V is for loVe aber auch für Veronica, Vendetta und reView. Verfolge auch dieses Jahr die Highlights von den Festwochen in unserem Logbuch.

‘Diktator’ Milo Rau /// Inés Bacher ©

16. Mai, Eröffnungsspektakel vor dem Rathaus

Mit Liebe, Kameradschaft und Solidarität gegen den Faschismus, den Krieg und die immerwährende Angst in heutiger Zeit. So lautet das Flaggschiffsmantra der Republik der Liebe der Wiener Festwochen. Zuerst wirkt das ein bisschen kitschig, doch im Laufe der Eröffnung, kann man sich in die Stimmung einfühlen. Und so politisiert und demokratieoffen sich die Eröffnung gleich zu Beginn mit der Begrüßung des Intendanten Milo Rau einordnet, so bringt sie auch realitätsnahe „Diktator Milo Rau“ Rufe eines Zuschauers mit sich. Nachdem sich die Security dem Mann näherten, stellte dieser seine Protest- und Abschieberufe ein.

Die Atmosphäre der Freien Republik Wien ist eine ganz eigene. Liebe und Frieden sowie Krieg und Leid stehen beieinander. Das zeigen Auftritte beginnend mit einer emotionale Ballade von Soap&Skin, dann Laurie Anderson, die klangkünstlerische Musik mit Politischem vereint, musikalische Vielfalt der traditionellen Seite durch die Jauntaler Trachtenkapelle Loibach, aber auch die feministischen und lauten Texte der Amadeus Austrian Music Awards Gewinnerin 2025 Sodl. Nicht zuletzt, und schwer nicht wahrzunehmen, ist das ungeduldige Warten der Zuschauer:innen auf den Musiker Faber, der sich mit seinen Indie-pop-politischen Songtexten immer wieder großen Applaus abholt. Insgesamt bietet der Auftakt neben den künstlerischen Kostproben, welche das kommende Programm schonmal vorwärmen, auch Botschaften von u.a. Conchita Wurst (Video), den musikalischen Acts vor Ort und immer wieder politischen Reden und Grußworten (wer hat nochmal nach Rau eine Rede gehalten???), die die künstlerische Utopie einer solidarisch-demokratischen Freiheits-Republik inszenieren.

Von Lucie Mohme


18. Mai, Burgtheater

Das saß man also endlich, in der Flagship-Production des Festivals und wurde bei lebendigem Leibe gekocht, zweieinhalb pausenlosen Stunden lang, bei negativ 20 cm Beinfreiheit. Aber hey, was macht man nicht, um Jelineks einstiges Skandalstück über den NS-versifften Hörbiger-Clan anzuschauen. Burgtheater im Burgtheater, mit Mavie Hörbiger, der Enkelin des Volksschauspielers, der für den Anschluss war und kurz vor Schluss doch Widerstandskämpfer wurde. Sort of. Von Jelinek war in Milo Raus Inszenierung allerdings recht wenig übrig, es ist wirklich Burgtheater von Jelinek & Rau.

Burgtheater im Burgtheater /// Tommy Hetzel ©

Dass der Abend trotz der saunaartigen Verhältnisse in der ehemaligen Hitlerloge positiv in Erinnerung bleibt, ist eine ziemliche Leistung. Eine Pause hätte aber nichts vom Flow genommen, das Stück ist sowieso eine teils wirre Dekonstruktion, wo mal Grillparzer rezitiert, mal doch ein bisschen dicke Jelinek-Sprachsuppe aufgetischt wird und mal eigene Stories der Schauspielenden verarbeitet werden. Überraschend ist, wie viel gelacht werden kann, Rau lässt die Schauspielenden eine überzogene Farce des Deutschtums, des Schauspielstardaseins und der Nazizeit spielen. Darf man darüber eigentlich lachen? Aber klar, damit demaskiert er alle drei recht geschickt. Und sonst? Birgit Minichmayr ist großartig (wie kann man so wild und frei sein?), Tilman Tuppy wird noch ein Star (oder ist er das schon?) und Milo Rau kann offensichtlich auch unter Hochdruck liefern. Die ganze Welt hat hingeschaut (bzw. die, die Karten ergattern konnten), und sie wurde nicht enttäuscht.

 Von Dávid Gajdos


18. Mai, Moeder Courage 

Die Republik der Liebe inkludiert allen Anschein nach auch die vielschichtige sowie teils moralisch fragwürdige Liebe der ikonischen Mutter Courage. Die Figur wird von Houbrechts erneut in einer tristen, aber harmonischen Farbkulisse auf die Bühne gebracht. Der Text bleibt derselbe und so ähnelt auch die Handlung dem Original. Jedoch wird mit nassen Füßen, denn die Bühne ist durchgehend mit Wasser bedeckt, die Ambiguität der Mutter Courage herausgearbeitet. Anscheinend wollte Brecht eine klare Verurteilung der Figur vermitteln; eine Intention, bei der das damalige Publikum nicht mitspielte. Anstelle von Verachtung kam Mitgefühl. Courage profitiert aufgrund ihres Jobs als Marketenderin vom 30. Krieg, während ihre Kinder diesem zum Opfer fallen. Houbrechts greift eben diese Vielschichtigkeit der Mutterfigur auf und inszeniert jene mit einem besonderen Augenmerk auf zwischenmenschlichen Beziehungen und die Realität von weiblich gelesenen Personen.

Kurt van der Elst ©

Diese Inszenierung funktioniert nicht immer, denn das Stück verliert sich teils in den vielen, etwas wirren Dialogen, welchen ich als Zuschauerin manchmal nur schwer folgen konnte. Mit Dialogen in niederländisch, französisch, hebräisch und kurdisch hatte ich zwar die Qual der Wahl, jedoch musste ich auf die deutschen und englischen Übertitel zurückgreifen. Das intensive Lesen abseits der Bühne in Kombination mit stetigem Schauspiel sorgte meinerseits für einzelne Verwirrungen. Die Anzahl der Sprachen lässt sich eventuell auf die Beschreibung des Stücks zurückführen, in welcher steht, dass Krieg nicht nur zwischen Nationen ausgetragen wird, sondern auch auf familiärer Ebene. Spiegelt die sprachliche Pluralität also diese Intention wider? Ich kann nur spekulieren. Da hätte die künstlerische Freiheit etwas größer sein und der Originaltext etwas verändert werden können. Denn meiner Meinung nach liegen die Stärken des Stücks in den Ergänzungen sowie der Neuorientierungen hin zu einer Repräsentation weiblicher Lebensrealitäten.

Von 2025, über 1939, bis zur griechischen Antike

Wie bereits erwähnt, erkennt man Mutter Courages’ vielschichtigen Charakter und Ambitionen, sowohl als Mutter als auch als Geschäftsfrau. Besonders interessant fand ich die Figur der Tochter, welche an eine moderne Cassandra erinnert. Cassandra, die trojanische Prinzessin aus der griechischen Mythologie, hat wahre Zukunftsvisionen, welche ihr jedoch niemand glaubt. Durch die Geschehnisse während des Kriegs und besonders durch ihre Erfahrungen als Frau in einer patriarchalen Gesellschaft ist Courages Tochter stumm. Allerdings wird sie oft Zeugin von wichtigen Geschehnissen oder Vertrauensperson von essenziellen Informationen. Diese kann sie ihrer Umgebung jedoch nicht vermitteln. Ihre Wünsche, Sorgen und Traumata bleiben unausgesprochen und die Frustrationen sowie Ausweglosigkeiten eines patriarchalen und kapitalistischen Systems werden sichtbar. Allerdings, im Gegensatz zu Cassandra, wird ihr am Ende ein Erfolgsmoment erlaubt und ihre Mitmenschen glauben ihren mit wortlosen Schreien übermittelten Warnungen. Sie rettet unzählige Menschen; das kostet sie nur ihr Leben.

Das Motiv der griechischen Mythologie bleibt ebenfalls in der Referenz zu Sisyphus erhalten. Eine riesige Kugel wird im Laufe der 2 Stunden Spielzeit immer wieder über die Bühne gerollt. Während die Kugel explizit einen Handelswagen darstellen soll, ist darin implizit Brechts ursprüngliche Kapitalismus- und Faschismuskritik wiederzufinden. Denn wie Sisyphus Aufgabe auch, enden auf diesen Konzepten aufgebaute Systeme nicht. Sie wiederholen sich.

 Von Eva Garber


Rolf Arnold ©

19. Mai, Three Times Left is Right 

Ehrlicherweise habe ich Probleme das Stück einzuordnen. Daher ähnelt dieser Eintrag mehr einer noch nicht abgeschlossenen Überlegung als einer konkreten Stellungnahme. Aber genau das bietet Three Times Left is Right: Raum für Spekulation. Julian Hetzel erzählt die für die Bühne neu geschriebene Geschichte eines wirklich existierenden Ehepaars. Sie, Caroline Sommerfeld, ist eine führende Intellektuelle der Neuen Rechten; er, Helmut Lethen, ist Kulturwissenschaftler mit kommunistischer Vergangenheit. Sie werden durch das gemeinsame Zusammenleben und die Erziehung ihrer Kinder ständig mit ihren gegensätzlichen politischen Einstellungen konfrontiert.

Das Erlauben von Ambivalenzen

Mit Humor und geschickter Zweideutigkeit wird dem Publikum vermittelt, dass eine politisch linke Positionierung nicht immer so fixiert ist, wie sie scheint. Besonders im globalen Norden und als weiße Person ist es gefährlich einfach, die Rolle der/des Mitläuferin/Mitläufers und Täterin/Täter einzunehmen. Diese Pipeline funktioniert im politischen Kontext tendenziell von links nach rechts gut. Denn für das whitewashing - im Stück wird dies expliziert mit einer Waschmaschine dargestellt - von Unterdrückungs-Narrativen gibt es viele Rezipient:innen. Es spricht nämlich genau die weißen Personen an, die sich plötzlich ihrer eigenen Fragilität bewusstwerden, ihre Privilegien nicht verlieren wollen und Feminismus als Konzept verworfen haben, sobald dieser intersektional gedacht wurde. Satire und provokante Witze werden im Stück verwendet, um die Normalisierung von Gewalt in den Medien, unserer Sprache und somit unserem Alltag aufzuzeigen. Das funktioniert etwa bis zur Hälfte des Stücks.

Irgendwann ist dann aber auch Schluss

Es entsteht ein Plädoyer für das gegenseitige Verständnis der individuellen Lebensrealitäten und Ansichten. Durch offene Diskussionen, ungescheute Konfrontationen und Liebe sollen extreme politische Differenzen gelöst werden. Und während ich zustimme, dass Diskussionsbereitschaft wichtig ist, kann Liebe nicht die Antwort auf alles sein. „Meinungsverschiedenheiten“ bei Themen wie etwa Menschenrechte, Rassismus und Empathie lassen sich nicht mit Kompromissen lösen. Wie soll man ein Gespräch auf Augenhöhe führen, wenn das Gegenüber einem die Rechte und eigene Existenz absprechen will? Wo liegt dann der middle ground? Und während Three Times Left is Right interessante Gedankenexperimente auf die Bühne bringt, entsteht schlussendlich eine Unausgeglichenheit. Denn die in Fiktion übersetzte Caroline Sommerfeld liefert eine rhetorisch überzeugende Rede ab – Musik, Licht, Stimme sowie Kulisse sitzen. Wie hoch ist dann die Gefahr, dass sich Personen im Publikum dann nicht auch von den rechtsextremen Inhalten ihrer Rede mitreißen lassen? Denn der fiktive Helmut Lethen kann nicht mithalten. Er ist ein mansplaining und über Bratwurst schwafelnden, gebrechlichen Mann, der sich von seiner linken Positionierung entfernt und Wort wörtlich aufgegessen wird. Diese Spekulation eines beunruhigenden Zukunftsszenarios, wie es in der Stückbeschreibung heißt, lässt bei mir den Hunger auf mehr vergehen.

Von Eva Garber

21. Mai, RICHARD III.

Daniel Kaminsky ©

Die Wiener Festwochen waren lange auf der Suche nach einer regionalen Produktion, in der in einer neutralen Auseinandersetzung der Gaza-Konflikt eingeschrieben ist und sich gleichzeitig fortlaufend in sich selbst reflektiert. Durch künstlerisches Zusammenarbeiten von Milo Rau und Itay Tiran wurde der Intendant der Wiener Festwochen auf Tirans Arbeit Richard III aufmerksam und lud sie anlässlich der gegenwärtigen politischen Lage zu den diesjährigen Wiener Festwochen ein. Im Rahmen des Festivals fand die Premiere am 21. Mai statt.

Itay Tiran, Schauspieler und Regisseur, inszenierte das Königsdrama als erste Arbeit in seinem Heimatland Israel. Die Produktion des Gesher Theatre in Tel-Aviv feierte im September 2023, einen Monat vor dem Massaker am 7. Oktober, Premiere. Tirans Inszenierung liest sich seismographisch, bisher hatte er sich immer gegen die Besatzung von Palestinensischen Gebieten ausgesprochen und jetzt…ja, was jetzt?

Der Auftakt mit Sonnenbrillen trügt zu Beginn hell und sonnig zu sein. Der Raum komplett in weiß gehalten, erinnert an eine Gummi-Zelle, oder an ein Schlachthaus und wer die Geschichte von Richard III kennt, weiß, dass es sich auch in eines verwandeln wird. Der Wahn und die Gier nach Macht zersetzt alles, was sich ihr in den Weg stellt. Der mit masochistischen Zügen versehene Richard ist dessen Verkörperung, die Nebenfiguren nur opportunistische Schachfiguren, die hin und her geschoben werden und wer dabei nicht mitspielt, fliegt aus dem Spiel. Misstrauen ist dabei der größten Feind; der bloßen Möglichkeit des Hintergehens, eines Angriffs, kommt man zuvor, indem diese Möglichkeit ausgelöscht wird - Sicherheit durch Gewalt, Tod und Zerstörung. Im Stück heißt es, dass dies unaufhaltbar sei, es muss passieren…und darin liegt der Kern der Tragik. Wie Richard selbst sagt: „Ganz weggeräumt, bekriegen selber sie,. Die Sieger selber sich; Bruder mit Bruder,. Blut mit Blut, Selbst gegen Selbst.“

Mit Voranschreiten des Stückes wird die Frage der Schuld, die immer wieder Zentrum eines inbegriffenen Diskurses wird, völlig irrelevant, weil nichts mehr über bleibt, außer die überflüssige Katastrophe. Das Uhrwerk ist eine automatisierte Produktionsmaschinerie von Verlierenden und ausschließlich Verlierenden. In der zweiten Hälfte des Abends prangert der Thron Richards dort, wo anfangs noch das Kreuz Jesus Christi hing. Richard besetzt den Platz der Kirche und spielt sich als Gott auf. An langem Tisch wird von Männern bestimmt, ohne Bezug zu Realität und ohne Bewusstsein für Konsequenz. Aus Launen und Zufällen heraus wird entschieden, wer stirbt und wer lebt - man vergleiche etwa den Abwurf Oppenheimers Atombombe. Aus Angst folgt der  Verfall in absolute Gehorsam, um dem König der Nächste zu sein, bzw. letztendlich sich selbst.

Im Zusehen versteht man sehr klar, warum das alles, warum wie und warum jetzt. Tiran und Ensemble zeigen mit ihrer Arbeit, wie eine gelungene Auseinandersetzung und Bearbeitung von historischem Stoff aussehen kann. Shakespeare wurde hier nicht versteckt, sondern im Gegenteil  sehr gut in seiner Dramaturgie und auch Komik sichtbar gemacht. Auch der Text ist Shakespeare belassen, wird im englischen Original projiziert, wie auch die Deutsche Übersetzung aus dem Hebräischen, das die Bühnesprache stellt. Die Sprache zeigt die hörbar wahrnehmbare Notwendigkeit in diesem Kontext und verstärkt durch seine überwiegend im Rachen geformte Lautstruktur eine akustische Spannung, die den Eindruck ständiger Konfrontation verstärkt, wodurch sich eine auditive Entsprechung der erzählten Zwietracht aufbaut.

Unterlaufen oder eher aufgebrochen wird mit musikalischen Einschüben, die von Heimat und Frieden erzählen. In ihrer Mehrstimmigkeit der Stimmen wirken sie fast schon heilend. Es kommt die Frage auf, was Frieden eigentlich bedeutet und ob dieser zerbrechliche Zustand überhaupt wirklich existieren kann. Mit dem Tod des verkörperlichten Übels geht es jedoch nicht zu Ende, sondern findet sich am Anfang wieder, nur in einem anderen Gewand vielleicht und ohne Sonnenschein.

Von Merle Proll

Bohema Bohemowski

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