You Are What You Eat - or you eat what you think you are
Eine visuelle Entdeckungsreise der intimsten Erinnerungsszene, durch das Einfachste illustriert: Essen. You Are What You Eat von Marina Moldovan in der Galerie Kras.
Marina Moldovan © /// Foto: Malina Bianca Curpan.
Zur Künstlerin: Marina Moldovan ist in Bukarest geboren und in Kronstadt gewachsen. Aus einer rumänischen Kindheit, und ab und zu wienerischer in den 90er Jahren, stammen die gespeicherten Essen und dazugehörigen Orte, Gefühle und Gedanken. Jetzt wohnt sie in Wien, und in den letzten Monaten hat sie als kathartischen Prozess die sogenannten Porträts kreiert. Sie spiegeln nicht nur intime Beziehungen mit ihrer Familie, Freund*innen und sich selbst wider, sondern auch ein Zuhause, das, egal an welchem Ort, immer mit Lärm und Liebe gerundet war. Eine Identität, von der Liebe zu und von den anderen gestaltet. Ihre erste Ausstellung kann bis zum 1. August in der Galerie Kras besucht werden, mittwochs zwischen 18 und 20 Uhr.
Du musst malen, Marina!, Die Stimme deiner Künstler*innen-Eltern. Marina schweigt, bleibt passiv. Sich mit Kunst quälen? Das will sie nicht. Alles, was sie braucht, ist Raum. Und dann – plötzlich kauft sie Colibri-Aquarelle. Zwei, drei Monate später entstehen Porträts. Nicht aus Pflicht, sondern aus dem Drang, eine Lawine von Gefühlen und flüchtigen Kindheitsfragmenten zu bändigen. Ihre erste Ausstellung: Schlicht, intim, liebevoll.
quiet architects of comfort
In der Autobiographie Die Jahre beschreibt Annie Ernaux, wie wir uns im Laufe der Zeit auf Fotografien als eine uns fremd gewordene Person erkennen. Wie man aus diesen viereckigen Papierstücken die gesamte Mikro- und Makrogeschichte eines Lebens lesen könnte. Papier bleibt. Vielleicht sammelte Friederike Mayröcker deswegen eine rekordverdächtige Fülle an Papier, Kitschobjekten und allem, was sich im Laufe eines Lebens anhäuft. Gesehen werden und am Leben bleiben, Art und Weise ist egal. Aber was wäre, wenn man durch etwas so Vergängliches wie Essen die Ewigkeit berührt – und dabei die intimsten Porträts zeichnet? Essen ist flüchtig, erfüllt eine zutiefst menschliche Funktion, und doch kehrt es in denselben Formen wieder, ritualisiert: Wie jemand die Zutaten vorbereitet, Stimmen und Licht, Gerüche und Geräusche, all die Bewegungen verschmelzen. Und die Essenz spiegelt sich im fertigen Gericht.
Die Künstlerin Marina Moldovan wandert durch tief persönliche Erinnerungen, durch Assoziationen zwischen dem, was man ist, und dem, was man isst. Essen wird für sie zu einem Ort, zu einem Gefühl, zu einer Präsenz – ein sinnliches Erlebnis, das die Zeit überdauert und immer wieder durch Schmecken, Riechen, Fühlen zurückkehrt. Das Konzept des heutigen Comfort Food ist für sie ein Abdruck von Geborgenheit, Identität und Zugehörigkeit. Ein Gericht wird so vor allem zu einem Porträt der Menschen, die eine prägende Rolle in unserem Leben gespielt haben. Die Ausstellung You Are What You Eat ist eine Hommage an jene, die durch Essen als Speicherarchitektur die Pfeiler unseres emotionalen Lebens bilden. Illustrated Portraits – watercolours on paper. Hintergrundworte auf dem Papier – ein Resonanzboden für das Essen.
your sense of humor is life-saving
Marina Moldovan © /// Foto: Malina Bianca Curpan.
Marina ist ein Leberkäsesemmel und eine Dose Pepsi. Zweimal. Mit Humor und building new bridges. Ein Selbstporträt des einstigen Kindes, das bei den Besuchen des Vaters im Wien der 90er Jahre, zwischen Melanzani-Grillen und Malen im Atelier, nach draußen geschickt wurde. Dann wanderte sie durch die stilleren Straßen, trat irgendwann in einen Billa, gönnte sich ein Leberkäsesemmel und eine Pepsi.
In der Galerie Kras, wo sie ausgestellt ist, empfing sie mich mit einer Dose Cola und Erdnüssen. Pepsi gab es nicht.
Marina singt viel. Schon als Kleinkind hatte sie ihre Singkrisen: Endlose Episoden, mit einem Publikum, das sich diese Rolle nie gewünscht hatte. Einer von ihnen war ihr Opa, der eines Tages, in der Hoffnung auf eine totale Auslöschung dieser vermeintlich zukunftslosen Tätigkeit, fragte: Aber das Ende dieses Liedes… kennst du es? Natürlich nicht. Ein hai mă und ein Stück Brot mit Ringelblumenmarmelade. Ihr Opa war ein wandelnder Witz und Marmeladen-Meister.
In diesem Moment, so wie immer, wenn ein Wort, ein Kontext, eine Lichtbewegung oder ein Zusammenspiel der äußeren Welt ein seit langem verborgenes Erinnerungsstück enthüllt, kam mein Opa, langsam wandernd, durch meine Gedanken. Er war eine wandelnde Enzyklopädie und ein Sahneschnitte-Liebhaber. Ich sah ihn in der Küche, ganz hinten, in der Ecke beim Backofen. So gut verborgen, dass man nur den Zipfel seiner Schürze erkennt. Dann richtet er sich auf, das Gesicht gerötet vom Dampf, und mit einem Strahlen, das den Raum wärmt, verkündet er: Ich habe Schnitzel für euch gemacht! Mit einer ganz neuen Gewürzkombination, fügt er geheimnisvoll hinzu. Und natürlich eine Sahneschnitte als Dessert, unser Lieblingsdessert, wenn man ihn fragt. Es war schon immer seins. Dann, beim Essen, folgt, wie gewöhnlich, ein Exkurs in die Geschichte der Welt. Oder warum die Tagebücher von Titu Maiorescu, rumänischer Politiker und Schriftsteller, ein Muss sind.
your heart is not a piñata
Ioana – 15 Jahre Freundschaft mit Marina. Liebt Süßigkeiten und für Freund*innen zu kochen. Darum ist sie ein Savarin (ein ringförmiger, getränkter Kuchen) und ein aufmerksam gedeckter Tisch. Dazu ein Porträt von Bukarest, wo sie manche begonnene Wege erlebt haben. Bukarest weckt immer eine Hassliebe, aber im Sommer, im Sommer ist es anders. Unter gleißendem Sonnenlicht und unerträglicher Hitze isst jeder Wassermelone. Im Park, auf einer Decke, und darüber schwebt The Weeknd: I’m a motherfucking starboy.
Marina Moldovan © /// Malina Bianca Curpan.
Von Pepsi & Leberkäsesemmel, Ringelblumenmarmelade, Savarinen, einem Michelin-Stern-Tisch und Wassermelone im flirrenden Sommerlicht des ersten Raumes führt der Weg weiter zu Keks-Tee und spanischen Gerichten, zu Hühnerfleisch mit Kartoffeln und gesalzener Gurke, zu gegrillten Melanzani. Und dann, wieder Pepsi & Leberkäsesemmel – diesmal jedoch mit new bridges und unfinished business.
In Jean-Paul Sartres Geschlossene Gesellschaft erscheint die Hölle als die Permanenz, sich selbst nur durch den Blick der anderen zu sehen. Marina jedoch illustriert Freund*innen und Familie so innig, so humorvoll, dass spürbar wird, wie sublim es sein kann, einzig durch die anderen gesehen und gemacht zu werden.