Wer redet hier von Machtmissbrauch?

Von gefährlichen Hierarchien und Machtmissbrauch hinter den Kulissen: Nestbeschmutzung im Kosmos Theater bietet eine Abrechnung mit dem schönen Schein.

(c) Bettina Frenzel

Eine faire Abrechnung

Das Kosmos Theater bringt mit Nestbeschmutzung ein Projekt des Instituts für Medien, Politik und Theater auf die Bühne. Hier werden im Rahmen eines Theaters die Hierarchien desselben aufgedeckt und kritisiert – ohne Rufmord zu betreiben. Es werden (leider) keine Namen genannt, jedoch ist dem Publikum klar, welche realen Situationen hier figurieren. Dabei kommen nicht nur bekannte, an die Öffentlichkeit geratene und medial repräsentierte #MeToo-Fälle vor, sondern auch anonymisierte Situationen, die zum Arbeitsalltag von Theaterschaffenden gehören – denn das Produktionsteam hat hierbei eine Vielzahl von Interviews einfließen lassen.

Ein Fest der Hilflosigkeit und Frustration

Darsteller*innen Tamara Semzov, Birgit Stöger und Mervan Ürkmez schlüpfen vor dem Hintergrund eines schlichten, aber aussagekräftigen, in knalligen Farben gehaltenen Bühnenbild abwechselnd in die verschiedensten Rollen – ob kurze Situationen, die nur angerissen werden oder ganze Handlungsstränge, zu denen immer wieder zurückgekehrt wird – die drei Künstler*innen sind wahre Verwandlungstalente. Oder sind ihre gespielten Erfahrungen persönlicher als gedacht? 

Nachdem der Kunst wie einem Gott in einer sektenähnlicher Zeremonie gehuldigt wird finden sich die Figuren auf einer Party wieder, die an eine Premierenfeier oder Preisverleihungs-Afterparty erinnert. Hier wird eine breite Palette an am Theater erlebbaren Situationen geschildert: Konkurrenzkampf, Machtmissbrauch, grauenhafter Umgang mit mentaler Gesundheit, Sexismus, … Und die Figuren scheinen nach und nach an diesen Strukturen zu zerbrechen. Nach diesem Abend verlieren die Träume, Künstler*in zu werden, ihre Attraktivität. Ein Abend, der den Glanz und Glamour der „Bretter, die die Welt bedeuten“ aufbricht. 

Never have I ever…

Wer denkt, dass hier Täter*innen entlarvt werden und wir wertende Zuschauende bleiben, liegt falsch. Erst freut sich das Publikum ahnungslos über die von den Darstellenden verteilten gratis Getränke, doch schnell wird klar: Entspannt zurücklehnen und ein Getränk genießen ist nicht drin. Es beginnt das altbekannte Partyspiel, bei dem man sich freiwillig entblößt: Es werden unterschiedliche Handlungen aufgezählt und man trinkt, wenn man eine Sache schon einmal getan hat. Durch die Offenheit der Darsteller*innen und die Ehrlichkeit der Zuschauenden um sich herum fühlt man sich bereit, mitzuspielen – niemand wird hervorgehoben, auf Niemanden wird mit dem Finger gezeigt. Und dennoch ist die Message klar: Wir sind alle Teil des Problems.

Begeisterung und Reflexion

Das Publikum ist spürbar begeistert: Obwohl schwierige gesellschaftliche Themen angesprochen werden, kommen die taktvoll eingesetzten Witze gut an. Die Interaktion in Form eines Trinkspiels trifft zunächst auf Unsicherheit, doch auch hier machen die Zuschauenden mit und lassen sich sogar bei der einen oder anderen Schilderung einer unangenehmen Situation beim Trinken ertappen. Der tosende Schlussapplaus zeigt, dass solche kritischen Auseinandersetzungen mit der Hochkultur Theater unterstützt werden, jedoch ist ebenfalls klar: Dieser Abend wird weiterhin zum Nachdenken anregen.

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