Wenn es heiß wird

Diesen Monat hat die erste Klima Biennale Wien eröffnet und damit die Diskussion ins Zentrum gerückt, was uns Kunst im Angesicht der Klimakatastrophe noch sagen kann. Brauchen wir noch Klimakunst?

Ausstellungsansicht Into The Woods, KunstHausWien /// © Leah Meister

Das Festivalareal am ehemaligen Nordwestbahnhof, das neben dem KunstHausWien eines der Hauptspielplätze der Klima Biennale ist, liegt abseits vom Stadtlärm idyllisch in der für diese Jahreszeit viel zu warmen Aprilsonne. Im Hof spielen Kinder im aufgeschütteten Sand oder zwischen den Bäumen, die in den entsiegelten Boden des ehemaligen Bahnhofsgelände gepflanzt wurden, es gibt ein Café und Plätze zum Basteln, Spielen und Verweilen.

Aufbauend auf Vorläufer im MAK 2018 wird nun in diesem Jahr die erste Klima Biennale Wien (5. April bis 14. Juli) präsentiert, die 100 Tage laufend verschiedenste Ausstellungen, Workshops, Projekte, Talks und vieles mehr anbietet. Sithara Pathirana, die in Graz geborene Projektmanagerin, und der Münchner Forscher und Künstler Claudius Schulze setzten das Konzept in die Tat um. Ihr Ziel ist es, die radikale Umwälzung unseres Planeten, die durch die Klimakatastrophe hervorgerufen wird und alle unsere Lebensbereiche in unterschiedlich starkem Ausmaß betreffen wird und betrifft, in dieser Biennale künstlerisch in Bezug zu setzen. Dabei setzen sie auf Dialog, Austausch und Nutzung von Leerstand (das über ein Hektar große Festivalareal besteht aus den ehemaligen Postbusgaragen des ÖBB), finanziert von den Ressorts Klima, Kunst und Finanzen der Stadt Wien. Es wird gefragt, wie man sich der Klimakrise künstlerisch nähern kann. Kooperiert wird mit der TU Wien im Rahmen der Biofabrique Vienna und mit Studierenden der Universität für angewandte Kunst und der Akademie der bildenden Künste, die ihre Werke in Strategies & Solutions ausstellen.

Im KunstHausWien im Hundertwasserhaus findet sich das Hauptquartier der Biennale mit der Ausstellung Into the Woods. Annäherungen an das Ökosystem Wald sowie der Klima Biennale Pavillon des Breathe Earth Collective, in dem fortlaufend Diskussionen, Talks und Performances stattfinden. Das Areal am ehemaligen Nordwestbahnhof und das KunstHausWien sind durch die partizipative Installation ARAPOLIS der Gruppe Baltic Raw Org miteinander verbunden.

Ein grundlegendes Konzept der Biennale spiegelt sich in dem Pay what you can-Preis des Biennale-Passes: so soll ein möglichst niederschwelliges Angebot geschaffen werden, das möglichst viele Menschen anspricht und in den Dialog mit den Themen bringt. Der Pass bietet für die gesamten 100 Tage freien Eintritt in die beiden Festivalareale, aber auch Ermäßigungen bei anderen Partnerinstitutionen (beispielsweise im Weltmuseum Wien, MAK oder den Wiener Festwochen und der Vienna Design Week). Mehr als 60 Kooperationspartner*innen bespielen Wien bis zum 14. Juli und die Biennale soll nun künftig alle zwei Jahre stattfinden. Im gesamten Stadtgebiet Wiens finden sich Werke im Aktionsfeld Immediate Matters, die aus einem Open Call der Festivalleitung hervorgegangen sind und in verschiedenen Kunsträumen, Independent Spaces und Galerien zu finden sind.

Kunst = Klima retten?!

Man mag sich nun fragen: was bringt eine Klima Biennale, die vor allem ein Festival für Kunst ist? Wäre es nicht besser, die mehr als 1,5 Millionen, die die Stadt Wien fördert, in tatsächliche Innovationsprojekte gegen die Klimakatastrophe zu stecken? Liegt Österreich nicht eh schon zu weit hinten, was den Umschwung zu nachhaltigen Energien betrifft? Was kann Kunst uns noch Neues sagen, wenn die Wissenschaft schon lange über das Klima aufgeklärt hat?

Ausstellungsansicht Areal ehem. Nordwestbahnhof, Joan Jonas /// © Leah Meister

Betreten wir einmal die Halle am Ende eines Ganges im Areal des ehemaligen Nordwestbahnhof. Aus dem Off dringen animalische Geräusche, die die Künstlerin Sofia Jernberg als menschlich-tierischen Dialog für die Ausstellung konzipiert hat. Die riesigen blauen Fische auf Papier von Joan Jonas bilden einen Schwarm, den man durchqueren muss. Von der Decke und scheinbar aus allen Ritzen der Halle quellen die organischen Skulpturen in pink, lila und anderen Farben von Eva Fàbregas. Fast scheint man sich in einer prä- oder postapokalyptischen Welt wiederzufinden.

Die Ausstellung Songs for the Changing Seasons wurde von den Kuratorinnen Lucia Pietroiusti und Filipa Ramos konzipiert. Pietroiusti und Ramos arbeiten schon länger als Team gemeinsam an der Verbindung von Kunst mit ökologischen Themen und kuratieren seit 2018 in den Dolomiten das Kunstfestival The Shape of a Circle in the Mind of a Fish. Pietroiusti ist Head of Ecologies bei der Serpentine Gallery in London und hat 2019 den Litauischen Pavillon auf der Biennale in Venedig mit der großartigen Operninstallation Sun & Sea (Marina) bespielt. Tatsächlich zeige die jüngste Forschung, dass Gefühle und Affekte mehr mit den Gedanken verknüpft sind als gedacht, so Pietroiusti. Demnach ist die empathische Art, wie wir auf Kunst reagieren, ein Weg, um auch Informationen zu empfangen. Dabei muss die Kunst an sich nicht unbedingt die wissenschaftlichen Informationen liefern, die für Aktion gegen die Klimakatastrophe benötigt werden, sondern sie soll nur den Weg bereiten, damit die Menschen sich im nächsten Schritt selbst informieren können. Kunst schafft also einen Raum, in dem neue Welten gedacht werden können, aber auch zerstörte Räume festgehalten und Wissen gespeichert werden kann. Der Titel Songs for the Changing Seasons bezieht sich dabei auf die Werke in der Ausstellung, die unmittelbar mit Singen und Liedern in Verbindung stehen, beispielsweise die Installation La balada de las sirenas secas von Patricia Domínguez, die auf die Wasserknappheit durch den Avocadoanbau in Chile aufmerksam macht. Darüber hinaus ist jedes Werk auch eine Ode in seiner eigenen Form: ein Gemälde für ein verstorbenes Pferd, selbstgebackenes Brot für die indigene Bevölkerung Südamerikas, ein monumentales Gedicht für Lachse oder Miniaturmodelle für Vögel. Dabei wurde auch auf die ästhetische Qualität der Werke gesetzt: die organischen Formen von Eva Fàbregas fügen sich überraschend harmonisch in die brutalistische Lagerhalle ein und obwohl sich die Werke stark in ihrer Materialität unterscheiden, ist ein sensitives Element der female energy in jedem zu finden.

Ausstellungsansicht Soil Fictions von Angelika Loderer, B21 /// © Leah Meister

Die Ausstellung Design with a Purpose, die auch am Areal am Nordwestbahnhof zu finden ist, untersucht die Klimakrise auf eine ganz andere Weise: es werden neue und weniger neue Designkonzepte vorgestellt, die die Produktionen nachhaltiger machen sollen. Im Rahmen der Klima Biennale ist außerdem im Belvedere 21 Soil Fictions von Angelika Loderer zu sehen, die sich mit der Beziehung zwischen Menschen und dem Boden, in dem Tiere leben, auseinandersetzt. Außerdem läuft dort auch Dog Days Bite Back des österreichischen Künstlers Oliver Ressler. Ressler bezieht Kunst in den aktivistischen Kampf konkret ein und oft verschwimmen die Grenzen, denn viele seiner Filme haben einen dokumentarischen Charakter: wie auch sein Film über den Hambacher Forst und die Klimaaktivist*nnen, die gegen den Kohleabbau protestieren, welcher in der Ausstellung Into the Woods im KunstHausWien zu sehen ist.

Ausstellungsansicht Belvedere 21, Oliver Ressler /// © Leah Meister

In Resslers Film Barricade Cultures of the Future (2021) kommt auch der Begriff des „Extraktivismus“ auf: dabei beteiligen sich Künster*innen nur oberflächlich an politischem Wandel, um sich dies dann im Rahmen ihres kulturellen Kapitals auf die Fahne zu schreiben und dadurch im Diskurs des Kunstmarktes relevant zu werden. Besonders die Frage des Klimas ist derzeit im Trend und die Klima Biennale Wien ist das beste Beispiel dafür. Resslers Filme plädieren für ein Miteinander von künstlerischem Ausdruck und politischem Handeln: im Zentrum muss der Gedanke der Transformation stehen. Aber auch der Gedanke Pietroiustis wird aufgegriffen, wenn der nigerianische Aktivist Nnimmo Bassey in einem Interview sagt, dass Kunst der Verbindungslink zwischen Kopf und Herz ist. Die Ausstellung von Oliver Ressler steht für ein weiteres Konzept der Aufgabe von Kunst zur Klimakrise. In seinen Filmen rufen Aktivist*innen direkt zur politischen Teilnahme auf, in welcher Form auch immer. Dabei wird die aktuelle Kunstwelt eher kritisch gesehen. Es kommt auch die allgemeine Frage auf, inwieweit Biennalen für kunstaffine Menschen ausreichen, um aktiv gegen Krisen zu kämpfen.

“biennale art”

Seit dem Aufkommen von Klimagipfeln mit künstlerischem Anspruch oder Kunst-Biennalen mit politischem Anspruch werden diese regelmäßig kritisiert. Es gibt sogar den Begriff „biennale art“, der diese Kunst als performativ und eben extraktivistisch bezeichnet. Gute Kunst, die sich mit der Klimakrise befasst, muss Fragen stellen und keine Antworten geben, dafür ist die Wissenschaft zuständig. Trotzdem kann es Kunst geben, die diese Rahmen sprengen möchte und Kanäle zu anderen Disziplinen legt, wie Aktivismuskunst oder eben die Filme von Oliver Ressler, die teils einen sehr dokumentarischen Charakter haben. Wenn die Werke in Songs for the Changing Seasons Fragen an unser menschliches Leben im Miteinander mit der Erde stellen, geht Resslers Praxis einen Schritt weiter und zeigt, wie aus diesen Gedanken Aktionen folgen können.

Ausstellungsansicht Atmospheric Forest von Rasa Šmite und Raitis Šmits /// © Leah Meister

Eine andere Ausstellung zeigt in eine weitere Richtung der Zusammenarbeit von Künstler*innen und Wissenschaft: Into the Woods im KunstHausWien. Die von Sophie Haslinger kuratierten Werke von Künstler*innen aus aller Welt behandeln den Lebensraum Wald als eines der wichtigsten und komplexesten Ökosysteme. Schautafeln liefern Informationen über wichtige Funktionen des Waldes und Fachbegriffe wie beispielsweise Resilienz oder Mykorrhiza. Unter den insgesamt sechzehn künstlerischen Positionen sind einige sehr poetisch (wie beispielsweise die Äste aus dem Wienerwald im Werk Grid des Künstlers Rodrigo Arteaga), andere technisch fundiert: Atmospheric Forest von Rasa Šmite und Raitis Šmits verwandelt wissenschaftliche Daten über einen Schweizer Wald in eine virtuelle Erfahrung. Dabei haben die pulsierenden Pixel aber auch wieder etwas poetisches. Die Schweizer Wissenschaftler sagten im Interview, dass ihnen der künstlerische Ansatz des lettischen Duos ganz neue Wege und Blickweisen auf die Daten gegeben hätten.

Ausstellungsansicht Kunsthalle Erxnergasse, WUK /// © Leah Meister

Anca Benera und Arnold Estefán haben die Saliera, das goldene Salzfass von Cellini, das 2003 aus dem KHM gestohlen und später im Wald gefunden wurde, zu einem Leckstein aus Salz gemacht und Tieren im Wald wieder zur Verfügung gestellt. So thematisiert UnWorlding die Ausbeutung der Waldbewohner in einem kunsthistorischen Kontext und kritisiert die brüchige Dichotomie zwischen Natur und Zivilisation. Empfehlenswert ist auch die Gruppenausstellung, die im KEX, der Kunsthalle Exnergasse im WUK, im Rahmen der Klima Biennale eröffnet hat. Die Ausstellung verfolgt ein ähnliches Konzept wie Songs for the Changing Seasons: die Werke sind medial sehr unterschiedlich – von der Videoarbeit A house then, a museum now, chapter one: wind of 120 days von Shirin Mohammad bis zu den seltsam verschmolzenen Skulpturen aus der Serie Shifting Geologies von Silvia Noronha – bilden aber einen gemeinsamen Kern in ihrer Thematik des menschlichen Umgangs mit der buchstäblichen Erde und ihres Verschwindens. Viele Werke befassen sich mit Ortsspezifik und erfassen dennoch gerade durch diesen Bezug ein Gefühl von globaler Verbindung. Verbindungen lassen sich auch zwischen den genannten Ausstellungen ziehen.

Ausgehend von den Ausstellungen, Talks und Räumen zum Austausch setzt die Leitung der Klima Biennale Wien auch auf spielerische Wissensvermittlung in Workshops: Für Kinder werden Führungen und Workshops angeboten, in Zusammenarbeit mit dem Kinderbüro der Universität Wien wurde der DOCK for Change initiiert, mit der Volkshilfe Wien das Zukunftslabor. Darüber hinaus gibt es das Schulprogramm Bildungswege und die Mobile Schule für Kunst und Nachhaltigkeit. Im Mai startet außerdem das Aktivismus Camp in Kooperation mit den Wiener Festwochen im Volkskundemuseum, bei dem Greenpeace, Attac, der Jugendrat, Artists for Future, Fridays for Future und die Letzte Generation teilnehmen werden.

Zwischen Ohnmacht und Handlungsmacht

Alle gezeigten Werke auf der Klima Biennale etablieren einen mehr oder weniger abstrakten Zugang zu denselben Fragen: Was kann ein Mensch verändern? Wie sieht die Welt heute aus, wie in der Zukunft? Hierfür können unterschiedliche Ansätze verfolgt werden: Ramos und Pietroiusti setzen auf Kunst als Auslöser von Aktion, während Resslers Werke eher den Fokus mithilfe künstlerischer Mittel auf sie lenken will. Kunst ist komplex und ambig, so entstehen Mehrdeutigkeiten und verschiedene Reaktionen auf dasselbe Werk. Kontext verändert die Wahrnehmung zu einem Werk. Kunst kann sich als Erfassung der „Ohnmacht des Einzelnen“ zeigen, wie es Sithara Pathirana ausdrückt, oder auch als Ermöglichung einer gemeinsamen „urbanen Utopie“, in der jede*r einen Teil zum Wandel beträgt. Dabei sind Künstler*innen und kunstaffine Menschen unentbehrlich im Überlegen von neuen Lebensweisen und nachhaltigem Handeln, das das Überleben von Wald, Mikroorganismen und Menschen gleichwertig sichert.

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