Frankly Better than Most!

Standing Ovations für Franz Welser-Möst im Konzerthaus. Ein Mahler-Abend, der in Erinnerung bleiben wird feat. Cleveland Orchestra und Simon Keenlyside. Review.

Franz Welser Möst im Konzerthaus /// Julia Wesely (c)

Frankly Worse than Most – ein einfallsreiches, aber auch gemeines Namens-Wortspiel der englischen Presse, das sich der oberösterreichische Dirigent Franz Welser-Möst in seinen Londoner Lehrjahren am Beginn seiner Karriere gefallen lassen musste. Im Großen Saal des Wiener Konzerthauses vergangenen Mittwoch ein anderes Bild: Gedränge an der Abendkassa, bummvolle Sitzreihen, Liveübertragung, Kultur- und Musikprominenz, wo man nur hinschaute (von Staatsoperndirektor Bogdan Roščić bis Starklarinettist Andreas Ottensamer) und minutenlange Standing Ovations.

Es war wieder einer dieser Konzertabende, der gerade junge Besucher*innen spüren lässt, dass klassische Musik keine verschnarchte Angelegenheit für Psychoschurken ist. Zumal dann nicht, wenn auf der Bühne das Cleveland Orchestra unter ihrem Chefdirigenten musiziert. Natürlich war der Andrang auch deswegen so groß, weil Welser-Mösts Auftritte aufgrund einer Krebserkrankung rar geworden sind. Mit Jänner 2024 plant er, seine Dirigierpause beenden zu können, die leider auch die adventliche Turandot-Premiere in der Staatsoper betrifft – der Italiener Marco Armiliato wird für ihn einspringen.

Franzl meets Gustl

Der Abend stand im Zeichen Welser-Mösts, aber vor allem auch im Zeichen Gustav Mahlers. Zusammen mit Welser-Mösts gutem Freund, dem britischen Bariton Simon Keenlyside, wurden sechs ausgewählte Lieder Mahlers aufgeführt, darunter Raritäten aus dem frühen Schaffen bearbeitet von Luciano Berio wie auch bekannte Wunderhorn-Lieder. Spätestens beim „Urlicht“ verstummte dann auch das Konzertgehüstel. Eindrucksvoll wie sanft Keenlyside hier nach dem manischen Trallala des vorangegangenen Soldatenlieds „Revelge“ das Publikum in die Innigkeit der Musik hineinsog.

Nach nicht einmal dreißig Minuten dann Pause. Vielleicht auch in Hinblick dessen, was nachfolgen würde – die (aus unerklärlichen Gründen) unpopulärste, bestimmt aber die seltsamste Symphonie Gustav Mahlers, die Siebte. Kurz zusammengefasst: 80 Minuten Klangrausch in fünf Sätzen. Instrumentarium erweitert um Kuhglocken, Tenorhorn, Mandoline und Gitarre. Rhythmen, die sich ins Mark bohren. Harmonien, die kratzen und ächzen. Vorsätzliche Hässlichkeit, Schrecken und viel ironisch-frivole Skurrilität. Wer ist noch nicht überzeugt?

Den Musiker*innen gelang einiges. An mancher Tempiwahl dürften sich die Geister scheiden, und das Blech war nicht immer der Star des musikalischen Reigens, alles in allem lieferte Welser-Möst dennoch eine effektvoll-klanggewaltige Performance, frankly better than most. Vor allem schön zu sehen, wie agil und entschlossen der Maestro wieder den Taktstock führte. Wer noch keinen Zugang zur Siebten hat, dem/der sei die maßstabsetzende Einspielung von Leonard Bernstein mit dem NYPO empfohlen.

Ode an die Stille

Fast überall rauscht, brummt, erschallt, raunt und zischt es in unserer Welt – wir werden andauernd dezibilisiert. Stille ist selten. Sie hat für den modernen Menschen viel Merkwürdiges an sich. Doch ist sie in der Musik – um nicht zu sagen im Leben – elementar. Erwiesen ist, dass Momente der Stille den Blutdruck senken und das Wachstum neuer Nervenzellen anregen. Sie kann aber auch verstörend sein, vor allem in Gegenwart anderer wirkt sie oft unbehaglich. Forscher*innen meinen, dass Stille in uns die Angst vor Einsamkeit weckt. Stille als Atemholen der Seele, meinte einst Joachim Kaiser. Für Franz Welser-Möst bedeutet Stille wohl noch viel mehr als für die meisten wie er in seiner 2020 erschienenen Autobiographie „Als ich die Stille fand“ eindrucksvoll schildert. Überaus bewegend erzählt er von seinem schweren Autounfall 1978: Das Aussetzen von Raum und Zeit kurz bevor sich das Auto, in dem er mitfuhr, auf die Stunde genau 150 Jahre nach Franz Schuberts Tod überschlug und ihn mit drei gebrochenen Wirbeln, zwei funktionsuntüchtigen Fingern, dem Ende seiner Geigerkarriere, aber immerhin am Leben zurückließ. Die Stille, so schreibt er, sei seine Form von Ewigkeit und Außerweltlichkeit. Arnold Schönberg schrieb über Mahlers Siebte: „Ich hatte den Eindruck einer vollendeten, auf künstlerischer Harmonie begründeten Ruhe“. In einigen Momenten schenkten Franz Welser-Möst und seine Clevelands an diesem Abend jenen Eindruck auch dem zahlreichen Publikum im Wiener Konzerthaus.

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