Seid froh, dass wir nur Gleichberechtigung wollen

Denn bei der Unterdrückung, die Frauen* seit Jahrtausenden erleben, wäre auch Rache angebracht, meint Tara-Louise Wittwer. Bohema hat die Lesung zu Nemesis’ Töchter in Wien besucht. Ein Abend, der strukturelle Ungleichheitsbehandlung, weibliche Wut und die Kraft solidarischer Verbundenheit zusammenbringt.

100% verbundenheit /// 5% pickmegirls /// 1% anwesende männer

Lesung zu Nemesis’ Töchter im WUK, 24.11. © Emelie Brendel

Triggerwarnung: Dieser Artikel enthält Inhalte zu geschlechtsspezifischer Gewalt und Femiziden. Diese Themen können emotional belastend sein. Bitte lies nur weiter, wenn du dich stabil genug fühlst.  

Nemesis heißt die Göttin der ausgleichenden Gerechtigkeit. Ihr Name bedeutet übersetzt so viel wie „Zuteilung des Gebührenden“. Doch googelt man Nemesis, ist die erste aufpoppende Definition nicht „Hüterin der Gerechtigkeit“ - sondern „griechische Rachegöttin“. Wollen Frauen* ausgleichende Gerechtigkeit, weil ein Mann sie oder andere schlecht behandelt hat, wird das rhetorisch gern zu Rache umgemünzt. Ein Narrativ, das auch Tara in ihrem neuen Buch Nemesis‘ Töchter beschreibt.

Die Lesung beginnt damit, dass Tara sich entschuldigt. Sie entschuldigt sich dafür, dass sie nach der Lesung keine Bilder machen werde, sie sei seit Wochen krank. Die Lesung wollte sie trotzdem nicht absagen. Es ist lustig, weil sie sagt, sie möchte niemanden gefährden - man weiß ja nie, „vielleicht machen wir am Ende noch rum“. Es ist aber auch sinnbildlich dafür, was Frauen* immer wieder tun: Sich entschuldigen. Das weiß auch Tara - 2024 hat sie sogar ein Buch darüber geschrieben, mit dem Titel „sorry, aber…“ – eine Verzichtserklärung an das ständige Entschuldigen. Natürlich entschuldigt sie sich trotzdem bei uns, weil sie so sozialisiert ist und es schwierig ist, sich von diesen tief verwurzelten Sozialisierungsmustern zu trennen. Doch ich vermute auch, sie entschuldigt sich, da fast ausschließlich weiblich gelesene Personen vor ihr sitzen. Bei denen lohnt sich die Entschuldigung, sie würden es auch tun.

Fast ausschließlich weiblich gelesene Menschen auf einer Veranstaltung, auf der es mehr Männer bräuchte. Denn jene, die fehlen, hätten es bitter nötig. Männer sollten anfangen, verstehen zu wollen, woher die Wut kommt, die wir empfinden. Die Wut, die sie gern abtun und belächeln. Die Wut, die früher mit Tod geahndet wurde, indem Frauen* als Hexen deklariert und vebrannt wurden. Und heute, wenn man ehrlich ist, immer noch wird. In Österreich ist die Zahl der Femizide auf einem Allzeithoch. Entscheidet sich eine Frau*, sich aus einer Beziehung zu lösen und einen selbstbestimmten Weg zu gehen, kann das zur Folge haben, dass sie umgebracht wird. Umgebracht von ihrem Ex-Partner, Nachbar, Sohn oder Vater. Die bisher fünfzehn Femizide diesen Jahres wurden alle von Männern aus dem nahen Umfeld der Betroffenen begangen.  

Das Publikum auf der Lesung zu Nemesis’ Töchter im WUK, 24.11. Gelb = weiblich gelesen, rot = männlich gelesen. © Emelie Brendel

Diese Statistik kommt nicht von irgendwoher. Gewalt gegen Frauen* beginnt weitaus früher. Ein Blick in die Kommentarspalte von Taras Videos genügt, um männlich dominierte Grenzüberschreitungen einzufangen. Wenn Männer Dinge wie „Ich kann Frauen verg*waltigen, kannst du das auch?“ im öffentlichen Raum kommentieren können, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, dann ist das nicht nur problematisch, sondern höchst alarmierend. Und macht verdammt wütend. Wenn Männer ihre Ex-Freundinnen umbringen können und anschließend von der Presse als reumütige Schäfchen gezeichnet werden, wie im aktuellen Fall der Grazer Influencerin Stefanie P., dann ist da mehr als nur noch Wut.

An diesem Abend im WUK führt Tara uns durch unsere Female Rage. Diese Wut beginnt im Alltäglichen:  Im Gefühl, das in dir aufsteigt, wenn ein Mann dir ungefragt etwas erklärt, worin du eigentlich schon Expertin bist. Wenn du in der U-Bahn sitzt und ein Mann neben dir den gesamten Raum einnimmt, sich seiner Umgebung völlig unbewusst. Wenn du verstehst, dass dein Äußeres immer bewertet wird - egal, welche Kompetenzen du mitbringst. Die Wut darüber, dass du nicht allein mit Kopfhörern nach Hause gehen kannst, da du aufmerksam auf der Hut sein musst.  Wenn du liest, dass der weibliche Körper in der Medizin durchgängig ignoriert wird. Wenn dir auffällt, dass du deine eigenen Kompetenzen permanent infrage stellst, weil du so darauf konditioniert wurdest. Und nicht zuletzt, wenn du realisierst, dass Frauen* sich gegeneinander ausspielen - in einer Welt, die von Männern für Männer gemacht wurde.

(Recovering) Pick-Me-Girls

Nicht nur in ihrem aktuellen Buch spricht Tara darüber, dass sie ein Recovering Pick-Me-Girl ist - auch ihre letzten Bücher greifen diese Thematik auf. Ein Pick-Me-Girl ist eine Frau*, die versucht Aufmerksamkeit von Männern zu bekommen, indem sie sich bewusst von anderen Frauen* abgrenzt. Diese Beliebtheit in der Männerwelt geht somit immer auf Kosten anderer Frauen*. Es werden typisch weibliche Dinge abgewertet, um besser bei Männern anzukommen. „Ich bin nicht wie die anderen“ ist der Grundgedanke und wenn wir ehrlich sind, kennen wir Frauen* alle dieses Gefühl.

Ich erinnere mich an ein Beispiel aus meiner Grundschulzeit. Auf dem Pausenhof wurde oft Fangen gespielt, meist „Jungs fangen Mädchen“ (na klar). Irgendwann ist dieses Fangenspielen ausgeartet, Jungs haben an den Haaren der Mädchen gezogen, es wurde gewaltsam „gefangen“. Ich weiß noch genau, wie ich auf das Haare-Ziehen immer betont lässig reagiert habe. „Nee, mir tut das nicht weh, alles gut. Nur den anderen Mädels. Mir nicht.“ Beispiele wie diese betitelt Tara als den Inbegriff des Pick-Me-Daseins. „Schaut her, wie cool und entspannt ich bin, mit mir könnt ihr sowas machen!“ Von Kleinauf erzieht uns das Patriarchat in einer Logik, in der wir andere Frauen* abwerten und Männern gefallen wollen.

Tara bei der Lesung zu Nemesis’ Töchter im WUK, 24.11. © Emelie Brendel

Vor der Abwertung des Patriarchats sind nicht einmal die eigenen Mütter sicher. Tara widmet ein Kapitel ihres Buches ihrer Mutter und liest auch auf der Lesung daraus vor. Sie beschreibt sich als pubertären Teenager, der sich gemeinsam mit dem Vater gegen die Mutter verbündet. Ein Team, ein gemeinsames Augenrollen: Kennst‘ ja die Mama, sie ist einfach anstrengend.

Das System hat mich glauben lassen, dass ich nur dann belohnt werde, wenn ich nicht die Tochter meiner Mutter, sondern die Tochter meines Vaters bin

Was Tara und viele andere Töchter nicht erkannten, ist die Wut der Mutter. Den Mental Load, immer Mitdenken zu müssen. Die Care-Arbeit, die geleistet werden muss. Denn es ist harte, unbezahlte ARBEIT. Kümmern, Kinder betreuen, Angehörige pflegen, Haushaltstätigkeiten, emotionale Unterstützung der Familie. Nebenbei den Job wuppen, während der Mann nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause kommt und erstmal die Füße hochlegen muss.

Die Abwertung der Frauen* - diese Logik möchte uns Taras neues Buch abtrainieren. Unser aller Ziel sollte es sein, Frauen* in unserem Umfeld zu bestärken. Einfach, weil sie Frauen* sind. Genau wie sich Männer gegenseitig bestärken, weil sie Männer sind. Ich schreibe dieses Buch nicht, weil ich Männer hasse, liest Tara vor, ich schreibe es, weil ich Frauen* liebe. Ihr Ziel sei es, nicht mehr von Männern geliebt und gesehen zu werden, als passiver Akt – ihr Ziel sei es nun Frauen* zu lieben, als aktiver Akt. Sie zu sehen, zu verstehen, sich in ihnen wiederzufinden.

Taras Buch thematisiert den Zorn, der sich über Jahrhunderte in uns angestaut hat. Durch Ungerechtigkeiten - aber auch durch unser eigenes Handeln im Schatten des Patriarchats. Doch ihr Buch soll eben nicht nur das sein. Keine verbitterte Abhandlung, sondern ein Buch über Zusammenhalt. Weiblich gelesene Personen müssen endlich erkennen, wie ähnlich sie sich sind, um sich gegenseitig stützen können. Keine Abgrenzung mehr, sondern gemeinsames Kräftesammeln.

Alles, von dem ich dachte, ich müsse es tun, ist einem anderen Gefühl gewichen: Verbundenheit. Verbundenheit mit Frauen*

Bleib (t)rotzig! WUK, 24.11. © Emelie Brendel

Meiner Ansicht nach bleibt die Verantwortung des Mannes ein Punkt, der über den Abend hinweg zu wenig thematisiert wird. Solidarität unter Frauen* allein ist nicht genug. Nicht, weil sie schwach wäre, sondern weil das Patriarchat nur dann bröckelt, wenn jene, die von ihm profitieren, Verantwortung übernehmen. Männer müssen verstehen, dass Female Rage nicht gegen sie gerichtet ist - sondern gegen Strukturen, die zu ihrem Vorteil ausgerichtet sind. Ein Ally zu sein, heißt zuzuhören. Grenzüberschreitungen zu benennen, auch unter Männern und Freunden. Räume zu öffnen, statt sie einzunehmen. Und zu begreifen, dass Gleichberechtigung kein „Frauenthema“ ist, sondern ein gesellschaftliches Fundament, von dem alle profitieren.

*Geschlechtszuordnungen basieren auf meiner visuellen Einschätzung. Tatsächliche Geschlechtsidentitäten können abweichen. Weiters wird in diesem Artikel der Begriff Frauen* verwendet. Das Sternchen weist darauf hin, dass der Begriff inklusiv gemeint ist und alle Personen umfasst, die sich als Frauen identifizieren (z. B. trans, inter und nicht-binäre Frauen).

Über die Autorin: Tara Louise-Wittwer (@wastarasagt) ist Autorin, Kolumnistin und Content Creatorin. Bekannt wurde sie vor allem durch ihr Videoformat „Tik Toxic“, in dem sie Videos von Männern und Frauen kommentiert, die sich in ihrer Absurdität überbieten. Neben ihren feministischen Online-Aktivitäten hat sie eine Kolumne (Was Tara meint) beim Spiegel und schreibt Bücher. Ihr letztes Buch Nemesis‘ Töchter ist im Oktober dieses Jahres erschienen.

Next
Next

Inszenierte Vielfalt, echte Leere: Ein Abend bei den TikTok-Awards