Inszenierte Vielfalt, echte Leere: Ein Abend bei den TikTok-Awards
Die TikTok-Awards wollen der glamouröse Höhepunkt einer neuen Unterhaltungsära sein. Ein Abend zwischen Hochglanzbühne, Werbepartnerschaften und der demonstrativen Feier einer Community, die sich selbst bespiegelt.
Aminata Belli auf der Bühne, die die Welt bedeutet /// (c) Isa Foltin
Am 25. November wurden zum dritten Mal die TikTok-Awards verliehen – erstmals mit Live-Ausstrahlung über Joyn. Unter dem Motto „New Era, New Icons“ zeichnete der DACH-Verband von TikTok im Berliner Kraftwerk „herausragende Creator*innen“ in 14 Kategorien aus. 40 Personen schafften es auf die Shortlist, die Online-Community kürte anschließend per Online-Abstimmung ihre Gewinner*innen.
Rising Stars und Nominierten-Clickbait
Folgt man Influencer und Tierrechtsaktivist Malte Zierden, sind die TikTok-Awards „der größte Abend im Leben“ von Creator:innen, Influencer:innen und all jenen, die sich auf dem prekären Feld der Selbstdarstellung zwischen Relevanz und Reichweite bewegen. Ich durfte dort sein – und auch wenn ich keineswegs auf die Idee kommen würde zu behaupten, dass das the night of my life war, kann ich dennoch sagen: Es war ein Abend.
Moderatorin Aminata Belli führte knapp zwei Stunden durch die Award-Show. Der Raum leuchtete in TikToks pink und blau, rund 200 Gäste saßen an langen Tafeln, snackten zweitklassigen Hummus und starrten auf große Bildschirme, die überall im Raum angebracht waren. Der Award wurde in 10 Kategorien vergeben, u. a. an das Rapper-Duo Aymen & Amo („Artist of the Year“), die Podcasterin und Autorin Gizem Celik („Entertainer of the Year“), Levi Pennell („Video of the Year“) und Hami Hasun („Voice of Change“). Sebastian Ragashi wurde „Creator of the Year“, Comedian Merve (Mervegsteuer) „Rising Star of the Year“ und Jonathan Baranowski erhielt den Preis für das beste Storytelling.
Auffällig war, wer nicht erschien. Zuvor warb das Unternehmen mit großen Namen wie Tokio Hotel, Nina Chuba, Frau Gretel und Tahsim Durgun – doch niemand von ihnen war zugegen, und das kommentarlos. Womöglich lehne ich mich hiermit direkt aus dem Fenster, doch angesichts des Umstands, dass TikTok von Klickzahlen lebt, und Joyn als Sponsor daran interessiert ist, möglichst hohe Einschaltquoten zu generieren, würde ich behaupten, dass die vorab beworbene Prominenz als Köder diente, um mehr Publicity zu generieren. Bei aller Offensichtlichkeit ist es mir fast unangenehm, angebissen zu haben: insgeheim wollte ich Tokio Hotel sehen, stattdessen begegnete ich Mark Forster.
Werbung, Werbung, Werbung, und, äh, ach ja: Werbung
Parallel zu den Creator:innen-Awards wurden im Rahmen der TikTok Ad-Awards in vier Kategorien auch die ertragreichsten Werbekampagnen auf der Plattform geehrt. Denn freilich geht es in unserer (Obacht, anstrengendes Schlagwort) digitalisierten Gesellschaft nicht mehr wirklich um Menschen und Unterhaltung, sondern um die Symbiose aus Branding und monetarisierbarer Identität. Das will die Kurzvideo-Plattform, die schließlich von Mikro-Marketing und Co lebt, nicht ungeschätzt lassen. Wer die reichweitenstärkste Kampagne vorweisen kann, wird belohnt. Und mit was? Mehr Werbeplatzierungen, klar. Die gewinnenden Kurzvideos zeugten jedoch von qualitativ so überraschender Minderwertigkeit, dass spätestens nach einer halben Stunde klar war: hier geht es nicht nur mehr um Klicks, als um Inhalt – es ist dem DACH-Organisationsverband der Plattform auch noch egal, mit welchen schamlos schlechten Videos diese generiert werden. Angesichts des massenhaften Überangebots von allem, was im Internet konsumiert werden kann, sollte ein Traffic-Hunt wie dieser ja eigentlich nicht mehr überraschen.
Doch die Offensichtlichkeit der qualitativen Flaute und ihre selbstgefällige Beschönigung durch TikTok hinterlassen einen bitteren Beigeschmack.
Selbstverständlich leben kostenlose Plattformen mit einer Reichweite wie TikTok ausschließlich nach den Regeln des digitalen Kapitalismus, doch wurden die Namen der Werbepartner öfter genannt, als die der Preisträger:innen. Auch die Menge an subtiler und weniger subtiler Eigenwerbung (… es gab einen Walk-In-TikTok-Shop vor Ort) richteten das Publikum als Kund*innen ab. Kein Wunder, das die gesamte Verpflegung aufs Haus ging – es wurde genug Geld für markeneigene Stanley-Cups und Weihnachtskugeln dagelassen, noch dazu liefen all jene, die keinen Preis erhielten, mit neuen Marketingdeals aus dem Kraftwerk, die dem Unternehmen genügend einspielen werden. Aber nur ums gewinnen ging es augenscheinlich ohnehin nicht bei den TikTok-Awards, sondern um ertragreiche Selbstdarstellung.
Diversität und Vielfalt als Schauspiel?
Die Show selbst war ein gehetztes Spektakel. Jede Kategorie erhielt kaum zehn Minuten Aufmerksamkeit, auf den Bildschirmen liefen im atemlosen Schnelldurchlauf die nominierten Videos, und in klassischer TikTok-Manier sah man keines davon bis zum Ende. Noch bevor man wusste, wie einem geschah, standen bereits die nächsten Gewinner*innen mit dem schimmernden „t“ auf der Bühne. Die Moderation war trotz Aminata Bellis Bühnenerfahrung holprig, vermeidbare Pannen reihten sich aneinander: vergessene Stichworte, falsch eingesetzte Musik und Mikrofone, die partout nicht funktionieren wollten. Vieles wirkte improvisiert und notdürftig zusammengehalten von Bellis bemühter Professionalität, die jedoch spürbar gegen eine insgesamt schwach vorbereitete Produktion ankämpfte.
Auch sonst haperte es leider in der Moderationsstruktur, dabei wäre eine Zuwendung zu inhaltlicher Kohärenz so wichtig gewesen. Als Belli etwa die Maxton-Hall-Schauspielerin Runa Greiner ankündigte, ging es weniger um Greiners Profession als um ihr „großartiges Aussehen“, ihr „hervorragendes Make-Up“, und, falls noch nicht erwähnt, ihren „ganz ganz ganz tollen Look“. Nicht, dass Runa Greiner nicht wirklich ein tolles Outfit trug und auch im Allgemeinen eine schöne Person ist – doch entspricht sie nicht dem krankhaften Heroine-Chic-Schönheitsideal, das den Mainstream noch immer dominiert. Die überbordenden, fast mechanisch wiederholten Komplimente wirkten insofern nicht wie echte Wertschätzung, sondern wie eine überperformative Demonstration von normbefreiter Offenheit. Greiners Präsenz schien mehr als Projektionsfläche für TikToks Diversitätsnarrativ genutzt zu werden, als dass sie um ihrer selbst willen gewürdigt wurde.
Ganz im Allgemeinen fiel in der Award-Nacht kein Wort so oft, wie „Vielfalt“. Es ging um die inhaltliche Vielfalt der Nominierungen, um die allgemeine Vielfalt auf der Plattform, die Vielfalt der Creator*innen und die vielfältigen Perspektiven, die dank TikToks Influencer:innen verbreitet würden und Gehör fänden. So berichteten TikToks General Manager Tobias Henning und David Roland etwa ganz stolz vom Streben nach und Schutz von Diversität, und kein:e Gewinnerin verließ die Bühne, ohne noch einmal zu betonen, wie wichtig es sei, „zusammen zu kommen“ und „gemeinsam für Vielfalt“ einzustehen. Nachdem eine der nominierten Creatorinnen, Gina Hitch, ihre Nominierung zurückzog, weil TikTok eben jenen Schutz seiner ach-so-geschätzten Vielfalt massiv versäumte, erschienen solche Worte kaum glaubhaft.
Luftleere Solidarität und manifestes Wegschauen: Das Gina-Gate
Nachdem TikTok Gina Hitch mit ihrem Video zu Transrechten auf die Shortlist der Nominierten setzte, sah sich die Creatorin mit rechtem Hass, Rassismus und Transphobie konfrontiert. Daraufhin zog sie ihre Nominierung zurück. In einer Stellungnahme, in der sie ihren Rücktritt erläuterte, sagte sie: „Wir wissen alle was passiert, wenn so ein Video nominiert wird, und dann auch noch ich die Person bin, die diese Aussage tätigt“. Damit bezog sich Hitch auf ihr Nicht-Weiß-Sein, auf das bekanntermaßen strukturelle Diskriminierung folgt. Mit der Nominierung bekannte sich TikTok zwar zu Transrechten, doch ließ das Unternehmen Hitch mit den Konsequenzen – Diskriminierung, Diffamierung und Gewaltandrohungen – allein. Weiter kritisierte Hitch das Sicherheitsmanagement der Plattform: „Ich finde es anstrengend, dass ich mich mit so einem Rotz auseinandersetzen und Community Management betreiben muss, weil es ganz cool ist, eine wichtige Message zu verbreiten, aber sich um alles andere keine Gedanken gemacht wird.“
Tobias Henning und David Roland nahmen zu Beginn der Award-Show Stellung dazu. „Vielfalt und die Freiheit, sich auszudrücken, sind für uns zentrale Werte. Ginas Video widerspricht Vorurteilen gegenüber Transpersonen“, erklärte Henning, blinzelte nervös auf seine Moderationskarten und fuhr nach einer kurzen Pause fort: „… ein sehr wichtiges Thema“. Er wiederholt, was seit Hitchs Rücktritt auf allen Websites zu lesen war: das Unternehmen verstehe und respektiere die Entscheidung, Hass und Diskriminierung hätten auf TikTok keinen Platz, sie bedauern den Rücktritt – man kennt die Leier. Auf der Bühne betonte Henning in stockenden Worten die Verantwortung der Plattform, seine Creator*innen zu schützen, weshalb sie „kontinuierlich daran arbeiten, noch besser zu werden, und TikTok für alle sicher zu machen“.
Und damit steht TikTok mit seinem Namen
Schutzräume, neue Kontrollfunktionen, gemeinsam den Weg in eine bessere Welt bestreiten – was klingt wie eine Hipp-Werbung, scheint für das Unternehmen als ausreichend Einordnung hinsichtlich seines Versäumnisses, rechte Hetze einzudämmen. Nach knapp zwei Minuten „Einordnung“ ging es dann aber sowieso schon weiter mit David Rolands fröhlicher Vorstellung der steigenden Nutzer*innenzahlen und, natürlich, der Werbepartner des Abends. Lieber weniger sagen, als das Falsche sagen – als Plattform mit einer solch immanenten kulturellen und politischen Gewalt, das sich damit rühmt, offen, divers und tolerant zu sein, ist diese Herangehensweise nicht nur falsch, sondern schlicht feige.
Vielleicht waren die TikTok-Awards am Ende genau das, was sie sein sollten: ein durchinszeniertes Spektakel, das glitzert, solange irgendwer seine Handykamera draufhält, und danach rückstandslos in der Timeline verschwindet. Was bleibt, ist ein Abend, der viel behauptet und wenig hält.

