Shakespeares Wurmloch

Zum 40. Jahrestag des TAG-Theaters prämiert Heinrich 5 von Gernot Plass. Gezeigt wird Shakespeares Stück in einer zeitlosen Allgemeingültigkeit, Aktualität und Augenzwinkern.

(c) Anna Stöcher

Der Saal wird abgedunkelt, die Publikumsgespräche klingen ab. Ruhe. Dunkelheit. Erwartungsvolle Stille. Schmunzeln. Die Bühnen- und Saallichter werden schlagartig angemacht, du wirst geblendet, Musik ertönt, du hast dich erschreckt.

Shakespeare beginnt!

Besorgt um eine Gesetzesvorlage, welche das Kirchenvermögen verstaatlichen würde, bringen Erzbischof von Canterbury (Jens Claßen) und der Bischof von Ely (Georg Schubert) als Ablenkungsmanöver König Heinrich (Raphael Nicholas) vor die Idee sich auf einen Krieg gegen Frankreich zu konzentrieren. Mit ausgeklügelter Argumentation legt Erzbischof von Canterbury Heinrichs Anspruch auf den französischen Thron dar, weil Heinrichs Ururgroßmutter eine Tochter des französischen Königs sei und in Frankreich gelte die weibliche Abstammung nicht, weswegen die Invasion logische Schlussfolgerung sei… Überzeugt und motiviert von der Idee von Krieg ist der junge König aber erst als er einen Affront durch den Sohn des französischen Königs als Reaktion auf König Heinrichs Anspruchsforderung auf Frankreich erhält: eine Kiste voller Tennisbälle.

Leider Zeitlos

Damit beginnt die leider zeitlose Handlung der Kriegsstrategie von König Heinrich und seinem Hof. Mit cleveren Querverweisen und Denkanstößen unterstreicht die Inszenierung von Gernot Plass im TAG-Theater immer wieder die Aktualität dieser Diskurse und Planungen zur Machterweiterung. Es werden Komplotte geschmiedet um die Bevölkerung zum Wehreinsatz zu motivieren. Die Presse ist begeistert von einem Krieg und die dadurch resultierende Verkaufssteigerung und bietet Propaganda an. Bürger*innen die unter dem Krieg am allermeisten leiden, unterwerfen sich durch propagierten Patriotismus ideologisch dem König und ihrem Land. Der Krieg wird ausgelöst durch Geiz und Kapitalerhalt zweier Bischöfe (die in der Inszenierung wie zwei Unternehmer wirken) und gesteigert durch die Machtfantasien eines jungen Königs. All das sind Handlungsstränge die uns in der allgegenwärtigen geopolitischen Kriegs- und Krisenlage allzu bekannt vorkommen.

Diese Ähnlichkeit wird bewusst gefördert durch die zeitlose Inszenierung: Die Kostüme, die minimalistischen Requisiten und das Bühnendesign sowie der Dialog lassen die zeitliche Fixierung immer wieder verschwimmen. Fünf Displays, die verteilt über den Bühnenraum angebracht sind, konterkarieren aktuelle Zeitgeschehnisse, wie die Black Lives Matter Bewegung oder das Einblenden der EU-Flagge, mit dem Bühnendrama aus 1599. Das Ensemble trägt mit intuitiver Abgestimmtheit den Inhalt des gekürzten Dramas verständnisreich und mit witziger Leichtigkeit auf die Bühne. Überzeugend ist auch das Licht von Katja Thürriegl, welches bei Szenenwechsel den Publikumsbereich erleuchtet und durch Strahler die Zuschauer*innen blendet, damit bei Abblendung und Erleuchtung des Bühnenraums eine neue Szene mit verändertem Bühnendesign und Ensembleauswahl überrascht.

Von Shakespeare bis ins jetzt

Auch ohne das Stück, oder gar Shakespeare zu kennen, werden die Aktualitätsbezüge der Inszenierung greifbar gemacht. Mit Witz und alternativen Gestaltungstechniken gelingt es Gernot Plass Shakespeares Text in eine Art Wurmloch zu verwandeln - eine Reise durch den historischen Kontext und die gegenwärtigen, sowie vergangenen geopolitischen Entwicklungen.

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