Die rote Hütte, der Geist und die Ratte
Irgendwo in der kalifornischen Wüste steht eine Hütte, die eines der spannendsten Projekte der letzten Monate prägt. Denn in dieser nahmen Son of the Velvet Rat und The Ghost and the Machine ihre Red Barn Sessions auf. Ein Einblick in eine einzigartige Zusammenarbeit.
© Lara Cortellini
Zwei Acts, acht Songs, die kalifornische Wüste und ein Genre-Mix irgendwo zwischen Folk, Noir, Country und Noise. Das sind die groben Zutaten für die Red Barn Sessions von Son of the Velvet Rat und The Ghost and the Machine. Die beiden Acts schaffen Neues aus Altem. Songs von Son of the Velvet Rat werden in der Rohheit ihres Noir-Folk-Sounds neu aufgenommen, verschärft mit den tiefen Resonator-Gitarren, die The Ghost and the Machine auszeichnen. In einem Gespräch mit Heike und Georg, die gemeinsam Son of the Velvet Rat bilden, und Andi Lechner, der unter seinem Alias The Ghost and the Machine musiziert, betont auch Georg diese neue Stimmung: „Es verleiht dem Ganzen ein Growl und gleichzeitig eine gefährliche Note.“
Die Prämisse
Son of the Velvet Rat wollen einige ihrer Songs neubearbeiten, mit der Unterstützung anderer Musiker*innen. Man geht in die Ferne und plötzlich sind die Möglichkeiten der Umsetzung ganz klar. Gemeinsam mit The Ghost and the Machine trifft man sich im Red Barn von Toningenieur Gar Robertson in Morongo Valley und nimmt in nur drei Tagen acht Songs auf. Hinzu kommen noch Janie Cowan am Bass und Danny Frankel an den Drums und schon sind sie geboren, die Red Barn Sessions. Angesprochen auf den Aspekt des engen Zeitplans sagt Lechner: „Ich bin mittlerweile Fan von dieser Arbeitsweise. Ich habe jahrelang an Alben herumgeschraubt und war dann am Ende des Tages nicht zufrieden.“ Die Herangehensweise zeichnet das Projekt aus. Der Sound und die Stimmung der Aufnahmen von Son of the Velvet Rat sind eine Antithese zur feingeschliffenen Popwelt, in der wir uns so oft bewegen: „Es gibt so viele musikalische Universen. Das Universum, wo Musik geschliffen und poliert wird, das kennen wir überhaupt nicht.“ In einer countryesken Leidenschaft werden die Harmonien von Georg und Heike mit dem nonchalanten Gitarrenspiel Lechners verbunden mit dem Wissen, dass die Perfektion im Makel liegt.
Die Weite der Wüste
„Rau“ antwortet Georg trocken, als er gefragt wird, welches Wort das Projekt am besten beschreibt. Passagen, die bewusst gewählt sind, finden ihren Platz ebenso wie spontane Improvisationen. Man bricht die schon bekannten Songs auf ihren Kern herunter, der Grundstock der Melodien und Texte bleibt gleich, doch man ummantelt sie mit Noise-, Country- und Folk-Noir-Sounds. Die Stimmung schwankt zwischen Düsterheit und rockigen Schwingungen, es gibt immer eine gewisse Gefährlichkeit. Doch warum gehen drei österreichische Artists in die kalifornische Wüste? Einerseits bot es sich perfekt an, Heike und Georg leben die Hälfte des Jahres in den USA, andererseits, um eine neue Perspektive, einen nicht-gekannten Zugang zu finden, so Andi Lechner: „Mir persönlich hat das getaugt, in Pausen rauszugehen und in dieser Weite der Wüste zu sein. Du stehst einfach in einer Leere.“ Drei Tage am Ende der Welt, um rohe Versionen von einigen Songs der Son of the Velvet Rat-Welt zu vertonen. In dieser Aufnahme wurde nicht versucht etwas Spezifisches zu sein, viel mehr war man auf den Prozess des Schaffens fokussiert: „Die Erfahrung war immer, irgendetwas mit einer Aufnahme wollen, ist der Grundstein für Enttäuschung, weil du nie dort hinkommen wirst.“
Das Vermächtnis des Red Barns
Mittlerweile sind die drei längst wieder in Österreich. Die Aufnahmen liegen gefühlte Ewigkeiten zurück. Doch man darf sich nicht direkt auf alle Songs stürzen. Neben dem David Lynch-Tribut Inland Empire ist bisher nur Blue Ribbon auf den Streamingplattformen zu hören. Die Lieder kommen nach und nach zur Welt, jeden Monat eines, mit einer Pause im Sommer. Dennoch darf man nicht glauben, dass sie nicht zusammengehören: „Das Ganze im Schlussglanz betrachtet, kann geschlossen sein, man kann es aber auch einzeln hören. Ich habe schon das Gefühl, dass jeder Song, den wir veröffentlichen werden, einen Beitrag zu dem großen Ganzen sein wird. Dass dann die Red Barn Sessions dastehen.“ Weitere Tracks des Projekts sind beispielsweise das zunächst 2007 veröffentlichte Out In The Blue, ebenso wie ein Cover des Ezra Furman-Songs Day Of The Dog, ein melancholisches Tribut an die Enttäuschung des eigenen Potentials. Bis die Red Barn Sessions in voller Länge an die Weltöffentlichkeit gelangen muss man noch abwarten.
Ganz am Ende des Gesprächs schaltet sich Heike ein, sie ist während dem Interview mit dem Schreiben der Setlist beschäftigt, das Gespräch findet wenige Minuten vor der gemeinsamen Show in der Sargfabrik in einem sehr kleinen Backstage statt: „Wer weiß? Vielleicht wird es ein physisches Produkt geben, eine Vinyl für die Liebhaber.“ Nur wenige Minuten später betritt The Ghost and the Machine die Bühne und gibt einige Songs seines Solo-Projekts zum Besten. Zwischen uralten Gitarren und ständigem Nachstimmen, wärmt er das Publikum auf und covert mal nebenbei Tom Waits. Als wenig später Son of the Velvet Rat ihr Set beginnen wird es ganz sanft und gefühlvoll, beinahe leidend. Von Lechner bei den gemeinsam aufgenommenen Songs begleitet, wird in der Sargfabrik ein Raum geschaffen, der sich nur der Musik widmet. Es gibt keine Einlagen, keine Posen, nur tiefe Gitarren, imperfekte Stimmen und sehr viele offene Ohren.