Rückkehr des Bob Dylans vom Praterstern

Auf seinem jüngsten Streich spielt der Nino aus Wien endlich wieder Wienerlieder.

Der Nino aus Wien /// Pamela Russmann (c)

Der Nino aus Wien gehört nach so vielen Alben (ur vielen!) eigentlich zum Hausrat der Hauptstadt. Ob ihm das recht ist, das weiß ich nicht, aber mit seinem neuen Album scheint er zumindest kein Distanzverhältnis zu der größeren Stadt an der Donau einzugehen. Das Album trägt den Titel Endlich Wienerlieder und manifestiert das, was eigentlich eh auf der Hand gelegen ist, nämlich dass Nino Mandl und seine „Aus Wien“-Band Wienerlieder spielen.

Nun: dies erfolgt weniger auf eine Weise, die man noch aus alten Hans Moser Filmen kennt, sondern mit, wohlgemerkt, eigenem Charme. Dieser nimmt lyrisch Anleihen bei sämtlichen Erscheinungen, die irgendwo zwischen Donaustadt und Hietzing aus dem Boden wachsen. Ob das nun die Hirschstettner Lebensart ist, die Jukebox im Schwedenespresso, oder ein melancholischer Pete Doherty in Albern. Der Nino aus Wien portraitiert die Stadt aus seiner Sicht. Konsequent reiht er sich auch in eine Gruppe von Musiker*innen wie Ernst Molden, Anna Mabo oder Voodoo Jürgens ein, die den Staub vom Wienerlied abschütteln und es mit E-Gitarre, Schlagzeug und lyrischem Nonkonformismus ins 21. Jahrhundert holen. Das neue Album ist folglich nur ein erneuter Beweis dafür.

„Da Wind weht vom Westen koid in mei graues Herz“

Das Album beginnt mit dem Song Koarl, der einer Zeit-Rezension zufolge eigentlich ein Cover seines Großvaters ist, der auch schon Wienerlied-Wienerliedermacher war. Das Lied startet mit „es woa a longes joa, weil ich so langsam woa“ und erhebt die vom Koarl im Beisl ausgedrückte Schwermut zu einer eigenen ästhetischen Kategorie. Ob die Zeile „seit Corona is er eh brav“ eins zu eins vom Großvater übernommen wurde, bleibt ein Geheimnis. Auch die Erwähnung der ominösen „Klara“, die eingefleischte Nino Hörer*innen wohl aus dem Lied Du Oasch kennen müssten, klingt doch sehr nach eigener Handschrift.

Eine andere Nummer, die dem Albumtitel Treue hält, ist Auf die Wienerinnen. In diesem Song meldet sich auch Wienerlied-Legende Ernst Molden mit seinem unverkennbaren E-Gitarrensound und der etwas rauchigen Stimme selbst zu Wort. Das Duo Mandl und Molden ist seit der Veröffentlichung ihres Austropop Coveralbums Unser Österreich (2015) sowie ihrem selbstkomponierten Album Zirkus (2021) der österreichischen Musikszene wohl bestens vertraut. Mit Strophen wie „mi fiaht die U-Bahn ham in die dunkle Gassn und jetzt steh i allan in da finstern Strossn“ nehmen die beiden gekonnt die klassischen Wienerlied Sujets „Weltschmerz“ und „Melancholie“ in ihre Musik auf.

Das altbewährte Rezept dagegen ist wie immer: Ansaufen. Darauf scheint selten ein Wienerlied verzichten zu können, vielmehr artikuliert es oft jene Gedanken, die wohl erst aus einem heraus sprießen, wenn man „zwa Vierteln“ mehr trinkt „ois wie sa si ghert“ (Mehr von Wien). Eine anschließende Katerstimmung ist selbst bei Tschocherl-Legionär*innen unvermeidbar. Auf dem Album Endlich Wienerlieder scheint diese jedenfalls bei Songs wie Diamond Time oder Neu zu starten eingetreten zu sein. Diese stiften bei den ersten Hörproben noch etwas Verwirrung und stellen in Bezug auf das Konzeptalbum wohl Ausnahmen dar. Vielleicht müssen sie aber auch noch ein wenig reifen, wie ein guter Roter eben.

Ein waschechter Weana

Politisch bleibt der Nino, wie bekannt, zurückgehalten. Aber mit Strophen wie „jeder der do is, is a Teil vo do“ (Waschechter Weana ft. Tubonika) kommt zumindest subtil ein Bekenntnis zu Wien als Stadt der Vielfalt hervor. Zudem schenkt er mit seiner Musik oftmals dem „Straßenstaub der großen Stadt“ (Jura Soyfer) seine Aufmerksamkeit, weshalb sie auch ohne politische Phrasen einen kritischen Unterton behält. Dieser gilt wohl all jenen, die den Wiener Weg (toller Song!) als einen hermetischen betrachten und politisch für sich claimen wollen.

Aber ein „waschechter Weana“ isst eben seine „Torten“ und auch sein „Sushi“ und braucht dafür keine reaktionären Kulturimperialist*innen, die sich die Verteidigung des Schnitzels auf ihre Wahlplakate schreiben. Dass das Medium des Wienerlieds auch als effektiver Protest gegen jene genutzt werden kann, die es nationalistisch vereinnahmen wollen, zeigten übrigens bereits bekannte Interpreten wie Georg Danzer, Sigi Maron, Georg Kreisler oder Dr. Kurt Ostbahn.

Schlusslied

Musikalisch changiert das Album zwischen Solo-Akustik, zu der meist genrehafte Texte gesungen werden, und den etwas rockigeren Balladen. Letztere sind vor allem aus dem selbstbetitelten Album aus 2018 bekannt. Zu der dem Nino aus Wien eigenen Ästhetik gehört jedenfalls beides. Der Nino und die „Aus Wien“-Band beweisen, dass man ein gutes Wienerlied-Album schreiben kann, ohne die Stadt zu verklären. Vieles ist schließlich auch hier noch 1 Scheiss. Angelegt scheint viel zu hörendes jedenfalls bereits im Ocker Mond Album aus 2020 zu sein. Songs aus diesem, wie Simmeringer Traum, Taxi Driver oder Wienerlied wurden wohl einfach drei Jahre zu früh released, um ihren Weg in das Endlich Wienerlieder Album zu finden. Aber das ist wohl bei vielen Nino Songs der Fall, weshalb auch das „endlich“ im Albumtitel nur Gültigkeit erlangen kann, wenn man die Platte von seinem restlichen Œuvre abkoppelt.

Fazit: Es schmeckt!

Previous
Previous

Eine feministische Antwort auf Beatrice Frasls feministische Kritik von Yorgos Lanthimos’ Poor Things

Next
Next

Puccini gegen Puccini