Too Old to Rock’n Roll, Too Young to Die!
Der Lyriker und ehemalige Kaufhausbrandstifter Thorwald Proll im Fragenkatalog.
Thorwald Proll ist 84 Jahre alt, lebt in Hamburg und trägt eine Biografie mit sich, die zwischen politischem Aufbegehren und poetischer Verdichtung oszilliert. Ein Leben, das von Brüchen durchzogen ist und doch als ein einziges Narrativ gelesen werden kann: Widerstand, Umwege, Sprache. Seine Biografie ist längst Teil der Zeitgeschichte. Er studierte zunächst Germanistik in Marburg, dann Theaterwissenschaften in Westberlin, weil er Dramaturg werden wollte und oder als Journalist Theaterkritiken schreiben. Die Studentenbewegung hat das aufgehoben - er brach das Studium für die größere Sache ab. Auf dem Campus der FU kam er mit Mitgliedern der K1 in Kontakt und übernahm spontan deren Position.
Wie es bei Georg Büchner heißt wurden
die Stühle auf der Straße aufgestellt und
das lebendige Theater war zum Greifen nah
Dass brennende Kaufhäuser daraus
hervorgehen sollten (die ja eigentlich gar
nicht brannten) war mir nicht anfangs klar
Das war vielleicht der Wunsch anderer
Oder es war einfach der Aufruhr der Zeit
Immerhin wurde der Kommilitone Benno
Ohnesorg erschossen und es blieb
ungesühnt
Bekannt wurde er als als Teil der außerparlamentarischen Opposition der späten 1960er Jahre, die es sich zum Ziel setzte, „Autoritäten und Staatsgewalt zu verunsichern“. Am 2. April 1968 gehörte er gemeinsam mit Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Horst Söhnlein zu den Beteiligten der Kaufhaus-Brandstiftungen in Frankfurt – ein Protest gegen den Vietnamkrieg. Die Strafe: drei Jahre Haft, von der er im Oktober 1971 vorzeitig entlassen wurde.
Thorwald Proll, Horst Söhnlein, Andreas Baader und Gudrun Ensslin vor Gericht. © dpa
Get Rhythm
Ich war verbannt
ins Land der Schmerzen
ich kam zurück
und dankte von Herzen
die einen sagen so
(um sich zu erinnern)
die anderen sagen so
(um zu vergessen)
nachts ging man
vor die Hunde
tagsüber störte
die Arroganz
Das kannst Du laut sagen, Trikont-Duisburg Dialog-Edition.
ISBN (2024): 9783945634813
Nach seiner Entlassung 1972 veröffentlichte er noch im selben Jahr im Hermann Luchterhand Verlag seinen ersten Gedichtband Sicherheit und (M)ordnung. Seit mehr als vierzig Jahren ist er als Autor tätig und veröffentlicht seine Bücher sowohl in klassischen Verlagen als auch in kleinen, handgefertigten Auflagen. Um sein Schreiben soll es sich in diesem Artikel drehen, das ist es, worum es JETZT geht. Erst im November 2024 ist sein neuer Gedichtsband Das kannst Du laut sagen erschienen. Ich habe mich im Juli mit ihm getroffen und geredet, geredet über alles und das Schreiben.
M.P._ Wie würdest du dein Schreiben beschreiben?
T.P._ Ich schreibe wie niemand
Ich schreibe alle Arten von Gedichten
Traum
Es roch nach
Nagellack
aber das
Inferno blieb
aus
Das kannst Du laut sagen, Trikont-Duisburg Dialog-Edition.
ISBN (1999): 3930272032
ISBN (2019): 9783748149903
„knast. er schreibt, was von dir übrig bleibt.” (S.12) - so fing es an. Schreiben würde er erst seit der Untersuchungshaft 1968, wo er Tagebuch führte. Vor der Verhaftung habe er sich Notizen gemacht; die Verteidigungsschrift Vor einer solchen Justiz verteidigen wir uns nicht wurde als Voltaire Flugschrift veröffentlicht. Dieses und anderes Material findet sich im Buch Mein 68. Aufzeichnungen, Briefe, Interviews., dort schreibt Proll: „ich bin ein gedicht, ein poet ohne worte. nach dem urteil.“ ( S.10)
Auf das geäußerte Interesse, wie sein Schreiben funktioniere, antwortet er:
Das Schreiben ist Aufschreiben
Das Schreiben bedeutet Intuition
Es ist etwas gelungen ich habe etwas
Festgehalten ein Traumgebilde ein Gedanke
Ein Einfall eine Überschrift in der Zeitung
Ein Gespräch ein Name eine Übereinstimmung
M.P._ Würdest du deine Gedichte als politisch einordnen?
T.P._ Sie sind nicht politisch ich bin politisch
Vi@nam
Ich dachte an
früher da war
es noch nicht
zu spät
Das kannst Du laut sagen, Trikont-Duisburg Dialog-Edition.
Die Nachfrage, ob es einen Unterschied zwischen Versen und Prosa bei ihm gebe, verneint er:
ISBN (2022): 9783945634653
Es gibt keinen Unterschied ich kann keinen
Unterschied machen wenn es einen gibt
Interessiert er mich nicht
M.P. _ Gut, aber warum Lyrik?
T. P._ Meine Begabung liegt in der Lyrik
Ich habe auch kleinere Texte geschrieben
Glossen Erinnerungen (siehe Doggin Around)
Mein delyrisches Tagebuch
Die Tagebuch-Thematik ist ein wiederkehrendes Element, wie wir wissen auch der Ursprung, wo sich fragt, wie privat sein Schreiben wirklich ist. Er stimmt dem privatem Aspekt zu, auch wenn es öffentlich ist oder scheint, meint er:
Manche Zeilen werden zu geflügelten
Worten
Z.b. Irgendwann erfrischt es jeden
Einige von Prolls Veröffentlichungen tragen den Untertitel „gebrauchte Gedichte“. Doch was bedeutet das? Es lässt sich auf mehreren Ebenen lesen: Zum einen als Recycling von Sprache, also Worte, die schon einmal existierten, werden in neuen Zusammenhängen wiedergebracht, erhalten eine andere Resonanz. Zum anderen verweist der kognitive Gang Richtung Alltagspoetik, die meint, dass Gedichte, nicht allein als literarisches Kunstwerk existieren oder für die hohe Literatur gedacht sind, sondern als etwas, das man im Alltag nutzen, mitnehmen, weitergeben oder eben „gebrauchen“ kann. Bei Proll tragen sie zudem Spuren der Nutzung: Texte, die schon gelesen, bedacht und benutzt wurden. So bleibt die Frage bestehen: Was genau sind diese „gebrauchten Gedichte“ und wodurch unterscheiden sie sich von den neuen?…Proll selber schreibt dazu:
Neue Gedichte ist der immer gleiche
Untertitel für die neuen
Gebrauchte Gedichte ist der Titel der
Gedichte die schon mal erschienen sind
Und an die ich in den ersten drei Büchern
Erinnern möchte Radikalinski Papiere 1-3
Radikalinski An (k)einem Tag wie jeder andere Pars pro Toto
Den Einfall dazu verdanke ich einem Freund
Er hat dafür den Preis der Noblen verdient
M.P._ Apropos neu…ist etwas neues in Planung?
T.P._ Ja gern wenn der Verleger es macht
(Er hat es mir schon versprochen)
— Wir warten (thor)freudig darauf!
Transparenzhinweis: Die Autorin ist mit dem Lyriker entfernt verwandt.

