ONE SONG – ONE CHEER – ONE HOUR OF … EVERYTHING.

Ein 60-minütiger Song, der gesungen bis gebrüllt wird als wären Marathon und Fußballspiel zugleich auf der Bühne. Und was das mit Trauma zu tun hatte…

(c) Michiel Devijver

Eine Bühne, die einer Turnhalle gleicht. Zwölf Performer*innen, die mit wildester Entschlossenheit eine Performance bis zum bitteren Ende durchziehen. Ein Metronom, das dabei den Takt eines Songs vorgibt: Das Herzstück des neuen Werks der flämischen Künstlerin Miet Warlop. Das Tanzquartier Wien vibriert.

„It was not easy to find fresh musicians ...”

… gab Miet Warlop im Künstlerinnengespräch nach der Vorstellung am 11.11. im TQW zu. Sie habe beispielsweise 32 Schlagzeuger*innen gecastet, bevor die Wahl auf Melvin Slabbinck fiel. Dies ist nicht verwunderlich, denn die körperliche Leistung, die in ONE SONG während des Spielens erbracht wird, ist enorm. Der Leadsänger (Wietse Tanghe) beispielsweise ist beinahe durchgehend auf dem Laufband, ein paar Kilometer gehen sich in der Dauer der Performance da schon aus. Die Geigerin (Elisabeth Klinck) spielt in einem Balanceakt auf dem Schwebebalken, Milan Schudel springt als Cheerleader permanent auf und ab, das Keyboard kann nur durch ein Sprungbrett erreicht werden und der Kontrabassist (Simon Beeckaert) macht unaufhörlich Sit-Ups. Angefeuert werden die Musiker*innen von einer Art Stadionsprecherin (Karin Tanghe) und einer Gruppe brüllender Fans von der Tribüne aus.

Knock knock. Who’s there? It’s your grief from the past.

Unter der sehr unterhaltsamen und schweißtreibenden Oberfläche der Performance liegen, bildhaft in den Songtext eingewoben, die Themen Schmerz und Verarbeitung von Trauer, zu denen Warlop einen sehr persönlichen Bezug hat. Kurz nach ihrem Studienabschluss beging ihr Bruder Suizid. ONE SONG basiert zu großen Teilen auf einem Requiem (SPORTBAND / Afgetrainde Klanken), welches sie ihm bereits 2005 widmete.

Der Blick auf diese ernsten Themen ist jedoch ein liebevoller: Jemanden zu verlieren sei eine so überwältigende Erfahrung, dass das Einzige, was man tun könne, sei, diese zu integrieren, meinte Warlop im Künstlerinnengespräch. ONE SONG ist somit ein Blick mit Distanz auf eine Trauer, die immer noch da ist, sich jedoch ständig verändert und in etwas Positives verwandelt werden kann. 

Ein gemeinsamer Herzschlag

Gleichzeitig betonte Warlop die Universalität der Erfahrung von Schmerz und ihr Streben, mit ONE SONG etwas Verbindendes zu schaffen. Das scheint funktioniert zu haben: Die Performance zapft einen gemeinsamen Herzschlag an, der sich überschlägt und nach einem Salto völlig fertig auf der Turnmatte landet, um verschwitzt zum Abschluss eine Hymne zu grölen. Und selbst wenn man nicht auf den Text achtet und sich des emotional tiefgreifenden Hintergrunds nicht bewusst ist, kickt die Gemeinschaft, die Sportevents so wunderbar hervorrufen können. ONE SONG funktioniert reibungslos als eine Persiflage auf solche Veranstaltungen, zollt diesen jedoch gleichzeitig Hochachtung. Denn die Intensität und der Fokus, mit denen die Performer*innen in ONE SONG auf der Bühne sind, suchen ihresgleichen. Aus dem Kratzen an körperlichen und emotionalen Grenzen entsteht eine absurd witzige Performance, die es sich anzuschauen lohnt. Es bleibt zu hoffen, dass Miet Warlop Wien bald wieder einen Besuch abstattet.

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