Nicht eine weniger
Den öffentlichen Raum als Ort des Erinnerns, der Solidarität und als feministischen Kampfraum einnehmen: Über den feministischen Kunstraum FRAU* schafft Raum und detach. deflate von der Künstlerin Verena Tscherner.
© Verena Tscherner.
Triggerwarnung: Dieser Artikel behandelt geschlechtsspezifische Gewalt sowie Femizide und schildert den Fall eines Femizids aus dem Jahr 2021 (Nadine W.). Bitte lies nur weiter, wenn du dich bereit dazu fühlst. Folgende Anlaufstellen (Auswahl) bieten Hilfe für von Gewalt betroffene Personen:
24-Stunden Frauennotruf: 01 71 71 9
Frauenhelpline: 0800 222 555
Hilfe für gehörlose Frauen: SMS an 0800 133 133
Hilfe für Frauen mit Behinderung: 01 714 39 39
Beratungsstelle Courage - Hilfe für queere Menschen: 015856966
Kinderschutzzentrum Wien: 015261820
Mädchenberatung: 015871089
Rat auf Draht - Beratung für Kinder und Jugendliche: 147
Männerberatung Wien: 01 603 28 28
Zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Zeilen sind im Jahr 2025 in Österreich bereits fünf Femizide verübt worden, begleitet von mindestens vierzehn Fällen mutmaßlicher Mordversuche und schwerer Gewalt an Frauen*, von denen in den Medien berichtet wurde (Quelle: Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) Stand 24.3.2025, ORF On vom 3.5.2025).
Es gibt einen Fall aus dem Jahr 2021, welcher mir besonders hängen geblieben ist. Ich wunderte mich über eine verrußte Fläche in der Häuserzeile entlang der Nussdorfer Straße, vor welcher Kerzen und Blumen niedergelegt waren - dort, wo sich eigentlich eine Tabak Trafik befunden hat, an welcher mein Weg mich täglich vorbeiführte. Später las ich in den Nachrichten: Nadine W., die 35 jährige Trafikbesitzerin, wurde am 5. März 2021 von ihrem Expartner in ihrem Geschäft angegriffen, gefesselt, mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und angezündet. Der Täter habe danach die Tür versperrt und sei geflüchtet. Passant*innen und Anrainer*innen hatten in Folge den Rauch bemerkt und die Türscheibe mit einem Einkaufswagen eingeschlagen; sich zufällig an der Straße befindende Sanitäter*innen löschten mit Löschdecken die in Flammen stehende Frau. Den Tathergang konnte Nadine selbst noch am Tatort den Polizist*innen schildern, bevor sie am 3. April im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen erlag (Quelle: Der Standard, Our Bodies). Wie bei den meisten Femiziden war dieser Mord nur das Ende, die sichtbare und fatale Spitze einer länger andauernden Gewaltspirale, welche nicht nur physische Gewalt bedeutet - psychische Gewalt, Stalking, Überwachung und andere Formen der Gewalt gehören zum gleichen Maße dazu. Laut einer Recherche vom Moment Magazin habe Nadine W. die Beziehung mit ihrem späteren Mörder beendet und hätte aus Angst vor seiner Reaktion einen Detektiv engagiert, welcher ihr geraten habe, einen Peilsender an dem Auto ihres Expartners anzubringen. Dieser habe sie jedoch überwacht und so von dem Gespräch mit dem Detektiv erfahren. In Folge sei er zu ihrem Arbeitsplatz gefahren und habe die Tat begangen. Er konnte gefasst und zu lebenslanger Haft verurteilt werden (Quelle: Moment Magazin, 22.12.2021).
Sie war eine von 29 Frauen* in Österreich, welche in jenem Jahr durch die Hände von Expartnern, Verwandten und anderen nahestehenden männlichen Personen ums Leben gekommen sind. Lange Zeit noch erinnerte der schwarz verrußte Eingang an das Geschehene. Was macht man nach solch einer Tat mit dem Ort?
Erinnern, mahnen, solidarisieren
Diese Frage habe die Bezirksvorsteherin des 9. Bezirks Saya Ahmad ebenfalls nicht losgelassen und es sei klar gewesen, dass etwas getan werden müsse. Auf die Initiative von Ahmad und ihrem Stellvertreter Christian Sapetschnig ist dann in der ehemaligen Trafik FRAU* schafft Raum ins Leben gerufen worden, laut eigenen Angaben der erste feministische Kunstraum gegen Gewalt an Frauen*. Es werden dort seit Dezember 2023 regelmäßig Ausstellungen von zeitgenössischen Künstler*innen gezeigt, welche Femizid und Gewalt an Frauen* thematisieren, jedoch immer auch Solidarität, Prävention und Selbstermächtigung mit sich tragen. Der kleine Raum ist täglich von 8 bis 20 Uhr kostenlos zugänglich und bietet jeweils Platz für eine künstlerische Position. An einer Stahlwand sind die Geschichte des Raumes und die Genese des Projekts sowie die Telefonnummer des Frauennotrufs zu lesen. Es soll ein solidarischer, feministischer Informationsort sein.
Das Zuhause als gefährlichster Ort
Momentan ist die Ausstellung detach. deflate der Künstlerin Verena Tscherner ausgestellt. Das Ready-made (ein zum Kunstwerk erklärter Alltags- oder Naturgegenstand) besteht aus einer an die Wand gelehnten Tür, über dessen Fläche verteilt sich verschiedene Gegenstände wie eine Bankomatkarte, Schuhe, ein Kuscheltier oder ein Schlüssel befinden. Es wird darauf angespielt, dass das eigene Zuhause, eigentlich ein Ort der Sicherheit, der mit Abstand gefährlichste Ort für Frauen* ist.
In Österreich habe jede 3. Frau* seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren, ungefähr jede fünfte Frau* in einer intimen Beziehung (Quelle: Statistik Austria 2022).
Die Tür ist von einer durchsichtigen Plastikhülle umschlossen; ein gewöhnlicher Staubsauger führt der Hülle Luft zu und wieder ab, wodurch die Skulptur zu atmen scheint. Es ist ein Wechselspiel aus Anspannung und Entspannung und verdeutlicht, wie schwierig es ist, gewalttätige Beziehungen und Orte zu verlassen, wie durch finanzielle, emotionale, soziale und familiäre Abhängigkeiten. Dennoch will die Skulptur dazu anregen den Mut zu finden, sich von gewaltvollen Orten und Beziehungen zu lösen und somit die Gewaltspirale zu durchbrechen, bevor sie im Femizid enden könnte.
“Ich schreibe, sobald ich eine räumliche Vorstellung einer Installation im Kopf habe, einen lyrischen, frei fließenden Text”, erzählt uns die Künstlerin Verena Tscherner über ihren Arbeitsprozess. “Mir ist es wichtig, sprachlich auch immer wieder im Poetischen zu bleiben, da vieles über die Kognition nicht für Menschen erfassbar ist. Lieber spreche ich die emotionale und intuitive Seite der Betrachtenden an, da somit eine individuelle Erkenntnis auf tieferen Ebenen möglich gemacht wird.”
Detach. deflate ist eine von drei Arbeiten, welche dieses Jahr ausgestellt werden und die über einen Open Call ausgewählt wurden. Tscherner habe durch die Umsetzung einer anderen Arbeit, entangle. deflate, in welcher ebenfalls das Element des Luft zu- und abführens vorkommt, und der Grundidee einer Haustür schon eine Vision für ihre Einreichung gehabt: “Jede Person hat eine andere Assoziation zu den verwendeten Objekten, welche ich in der Installation verarbeitet habe, und deswegen gibt es individuelle Lesarten der Metaphern. Die Wohnungstüre, welche aus dem Rahmen herausgehoben an der Wand lehnt, ist genauso bewusst gewählt, wie die Tatsache, dass die Betrachtenden nur auf die Außenseite der Tür blicken können. Der Staubsauger, der den Atemrhythmus des Deflateables steuert, kann nur an seinem Klang erahnt werden. Ich lade die Besuchenden ein, bei der Installation zu verweilen, und bewusst ihre eigene Atmung beim Betrachten der Tür mit der Hausnummer 4 (in der Nussdorfer Straße 4) zu beobachten.”
© Verena Tscherner
Der öffentliche Raum ist ein wichtiger Diskurs- und letztendlich auch Kampfraum, der genutzt und erobert gehört. Auch ein Platz unweit des Kunstraumes wurde aufgrund der Tat in Ni-Una-Menos-Platz umgenannt, was übersetzt “nicht eine weniger” bedeutet und der Name einer feministischen Bewegung gegen Femizide und Gewalt an Frauen* in Lateinamerika ist.
Solche öffentlichen Orte, die das zu wenig Gesehene sichtbar machen, darüber informieren und erinnern, sind von immenser Wichtigkeit und vermitteln das, was man nicht oft genug in die Welt hinausschreien kann: Geschlechtsspezifische Gewalttaten und Morde sind keine Einzelfälle, keine tragischen Beziehungstaten und ganz sicher kein Handeln aus Liebe - sie haben System, sind gesellschaftlich-patriarchal verankert und eine Gefahr, welcher jede Frau* in ihrem Leben mit schwindelerregend hoher Wahrscheinlichkeit begegnen kann. Deshalb liegt die Verantwortung eindeutig nicht primär bei den Betroffenen im Einzelnen, sich davor zu schützen oder daraus zu befreien - Politik und Gesellschaft tragen die Verantwortung, Maßnahmen zur Prävention umzusetzen. Dies beinhaltet die Gewährleistung von ausreichendem, kostenlosem Schutz, Femizide als solche zu benennen und zu politisieren und die Aufklärung darüber zu vereinfachen, wann Gewalt anfängt und welche Rechte und Möglichkeiten man als betroffene Person hat.
Und weil dies auch nicht oft genug wiederholt werden kann: Die folgende beispielhafte Untersuchung, neben vielen weiteren, unterstreicht, dass das Problem nicht “Migrant*innen” sind, sondern das Patriarchat unabhängig von Nationalität, Religion, Hautfarbe: Haller, Birgitt (2023). Femizide in Österreich. Eine Analyse der Justizakten aus dem Zeitraum 2016 bis 2020, SIAK-Journal − Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (4), 16-27. Es braucht hier einen allgemeinen Wandel der Geschlechterrollen - dass Männlichkeit nicht mit einem Anspruch auf Dominanz und Macht gleichgesetzt wird, dass Verletzlichkeit zugelassen und mit Emotionen gesund umzugehen gelernt wird und somit nicht Aggressionen und Gewalt als Mittel zur Kompensation angewandt werden. Damit wir keine weniger werden. Nicht eine weniger.
Detach. deflate von Verena Tscherner ist noch bis zum 20. Mai 2025 ausgestellt.