“Kultur ist die Luft zum Atmen”

Was passiert, wenn in der Kultur eingespart wird? Wir werfen einen Blick nach Berlin, wo man schon heute mit den Folgen massiver Kürzungen im Kulturbudget ringt. Ein Gespräch mit Manuela Schmidt, kulturpolitische Sprecherin von der Partei „Die Linke“ in Berlin.

60% sparpolitik /// 30% städtevergleich /// 100% für mehr inklusive kultur

Manuela Schmidt, kulturpolitische Sprecherin der Partei “Die Linke” in Berlin. /// Fotograf: © Ben Gross

Vor einigen Wochen hat die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler in einem Interview Einschnitte im Kulturbudget der Stadt angekündigt. Ein eindrückliches Zeugnis für die Folgen radikaler Einschnitte im Kulturbudget liefert die deutsche Hauptstadt Berlin.
In der Berliner Kultur geht die Angst um: Das ohnehin knapp bemessene Budget der Kulturverwaltung schrumpft einmal mehr im beschlossenen Haushalt der schwarz-roten Regierung. Die Kürzungen zeigen, dass in der öffentlichen Kulturförderung Berlins mit zweierlei Maß gemessen wird. Denn die Leidtragenden der neuesten Budgetreformen sind keineswegs die großen Institutionen. Hauptsächlich ist es die freie Szene, der die Luft zum Atmen genommen wird, beispielsweise durch den Wegfall von kostengünstigen Proberäumen. Und auch zulasten der Besucher*innen wird gespart: So fällt der
kostenfreie „Museumssonntag“ dem Spardruck zum Opfer. Die Debatte um die Kulturhaushalte der deutschen Hauptstadt berührt kulturpolitische Grundsatzfragen. Denn der Weg des Geldes entscheidet auch die Richtung, die eine Kulturlandschaft einschlägt. Geht es um das große Prestige, oder die Integration aller Stadtbewohner*innen in den Kulturbetrieb? Berlin spart an den falschen Stellen und sendet ein Warnsignal in andere Städte – auch nach Wien, denn hier weht nach Jahren des Aufstockens ebenso der Wind der Sparpolitik, welche heuer und im nächsten Jahr unter anderem nicht die großen Institutionen, sondern Kunst- und Kulturförderungen und damit kleinere, unabhängige Projekte anschneidet (Quelle: parlament.gv.at).
Bohema hat sich mit Manuela Schmidt getroffen, sie ist kulturpolitische Sprecherin der Partei „Die Linke“ in Berlin und sitzt bereits seit 2011 im Berliner Abgeordnetenhaus. Gemeinsam haben wir über die Frage nach der Finanzierung kultureller Angebote und die Berliner Kunst- und Kulturszene gesprochen.

Bohema: Berlin ist arm, aber sexy – so hat es der ehemalige Bürgermeister Wowereit auch mit Blick auf den Boom im Nachtleben und die ausschweifende freie Szene der 90er Jahre formuliert. Ist der Kulturbetrieb heute immer noch ein konstitutiver Bestandteil der Identität dieser Stadt?

Manuela Schmidt: Berlin hat keine große Industrie, kaum nennenswertes produzierendes Gewerbe. Die Stadt zeichnet sich durch eine fantastische und sehr niederschwellige Kunst- und Kulturszene aus. Gerade die Kultur zieht viele junge Menschen und Tourist*innen nach Berlin. Damit hat sie für die Wirtschaftskraft von Berlin eine existenzielle Bedeutung. Jeder Euro, der in die Kultur investiert wird, zahlt sich daher vielfach wieder aus. Dabei geht es gar nicht so sehr um die Hochkultur - um Oper und Ballett -, sondern um die vielen gut bezahlbaren Angebote der Clubs, kleineren Theater oder von Kollektiven. Leider vermittelt die Koalition aus CDU und SPD nicht wirklich den Eindruck, als würde ihnen diese Berliner Kulturszene viel bedeuten.

Bohema: Im Haushaltsjahr 2025 soll weiter kräftig beim Kulturetat gespart werden. Statt der großen Häuser wie der Staatsoper betrifft der Sparzwang hauptsächlich die Förderung der freien Szene. Was hat das für Auswirkungen?

Manuela Schmidt: Die Auswirkungen sind fatal. Der Kunst- und Kulturetat ist von über 15 % Einsparungen betroffen – die anderen Ressorts im Durchschnitt mit 10%. Und das bei einem Budget, das ohnehin nur 2 % des Landeshaushalts ausmacht. Gespart wird insbesondere an denen, die auf Förderung besonders angewiesen sind. Beispielsweise können sich in Berlin viele Künstler*innen die Mieten nicht leisten - deshalb hatten wir in den letzten Legislaturperioden begonnen, städtische Liegenschaften für Proben zur Verfügung zu stellen. Bis zur letzten Wahl haben wir das Raumprogramm massiv ausgeweitet. Die Kulturraum Berlin GmbH hat Architekt*innen, Ingenieur*innen und Kulturschaffende an einen Tisch gebracht, um Räume probengerecht zu entwickeln und um einen fairen Vergabeprozess zu gewährleisten. Die beiden Haushaltstitel für dieses Projekt wurden massiv gekürzt – sie wurden sogar fast komplett gestrichen.

Innenansicht des Abgeordnetenhauses. /// © Juri Oskar Eigel

B: Nächstes Jahr findet in Berlin eine neue Wahl zum Abgeordnetenhaus statt. Wie stehen die Chancen, dass die Einsparungen nach der Wahl wieder zurückgedreht werden können? Wäre eine Neuauflage des Raum-Projekts denkbar?

MS: Leider stehen die Chancen schlecht, denn uns werden durch Veräußerungen und Neuvermietung viele Probenräume verloren gehen, die uns nicht eben mal so wieder zur Verfügung stehen werden. Darunter leidet die freie Szene massiv, vor allem junge Menschen. Dem wurde von Seiten der Koalition auch mit Zynismus begegnet – es wurde gesagt, dass die Kultur wirtschaftlicher und effizienter werden muss. Und es gab auch Stimmen, die gefordert haben, dass sich Künstler*innen eben einen Job suchen sollen, mit dem man auch Geld verdienen kann.

B: Mal angenommen: „Die Linke“ gewinnt die nächste Wahl. Was würdest du tun, wenn du Kultursenatorin wärst?

MS: An der Stelle muss ich etwas pathetisch werden. Kultur ist die Luft zum Atmen, das Licht und auch der Schatten. In einer Zeit, die von Krieg und Krisen geprägt ist, kann sie den Menschen Kraft geben für ihren Alltag. Daher möchte ich, dass die kulturellen Angebote in Berlin allen offenstehen: Jugendliche, Menschen mit geringem Einkommen, Senior*innen, und Menschen mit Behinderung. Da gibt es eine Menge zu tun und viel wurde zurückgedreht. Ich würde für Planungssicherheit in den Kinder- und Jugendtheatern einstehen und dafür, dass sich die Förderung von Kulturangeboten nicht nur auf die Innenstadt beschränkt. Diesbezüglich gibt es in Berlin noch viel zu tun.

Anmerkung der Redaktion:
Kulturbudgets bedeuten indirekte Transferleistungen: Ein Theaterticket, das für den reinen Selbsterhalt einer Institution 200 Euro kosten müsste, kann durch staatliche Förderungen zu einer Fraktion des Preises angeboten werden. Dadurch können sich viel mehr Menschen den Eintritt ins Theater leisten – doch ein echter sozialer Ausgleich in der Kulturlandschaft ist damit noch nicht per se gegeben. Denn die Besucher*innen von Theaterstücken kommen trotz Subventionierung verstärkt aus akademischen und wohlhabenden Milieus. Der Transfer kommt also häufig nicht bei sozial benachteiligten Gruppen an. Drastisch wird es bei Häusern wie Oper und Ballett, die massiv durch die Steuerzahler*innen unterstützt werden und trotzdem fast nur reiche Besucher*innen anziehen. Wer vor der Staatsoper Unter den Linden oder auch vor der Staatsoper in Wien steht, bekommt eine Ahnung, warum das so ist. Die mächtige Architektur, die feinen Leute: Nichts an diesen Betrieben ist wirklich einladend für Menschen, die das nicht gewohnt sind.

Selbstverständlich ist es wichtig, durch Zuschüsse sicherzustellen, dass der Zugang zu kulturellen Angeboten allen Menschen offensteht. Gleichzeitig darf sich eine progressive Kulturförderung nicht damit genügen, Ticketpreise einigermaßen leistbar zu machen. Die Förderung von Kulturangeboten an Schulen, die Unterstützung von entsprechenden Angeboten in städtischen Randbezirken und integrative kulturelle Mitmach-Angebote sind nur einige von zahlreichen Ideen zur Komplementierung der institutionellen Kulturförderung.

Viele Rückschritte

B: Hast du den Eindruck, dass die aktuelle Landesregierung in Berlin aus CDU und SPD systematisch daran arbeitet, Errungenschaften vorheriger Regierungen zurückzudrehen?

MS: Ja, deutlich wird das zum Beispiel beim Institut für kulturelle Teilhabeforschung. Dort werden Daten zu den Besucher*innen des Berliner Kulturbetriebs erhoben. Das Institut hat beispielsweise festgestellt, dass 86% der Berliner*innen einer umfassenden Kulturförderung gegenüber positiv eingestellt sind. Nun soll das Institut abgewickelt werden. Genauso abgeschafft werden soll eine kollektive Beschwerdestelle für kleine Institutionen, die keine Ressourcen für eigene Beschwerdestellen haben. Obwohl eine solche Stelle in einer Stadt mit vielen Solo-Selbstständigen von elementarer Bedeutung ist. Man merkt an allen Ecken und Enden, mit welcher Einstellung die Koalition den Kulturschaffenden gegenüber auftritt – voller Arroganz! Es wird teilweise so getan, als wären sie Schmarotzer.

B: Wie ist die Rolle der Sozialdemokrat*innen zu bewerten? Die SPD hat schließlich lange mit den Linken zusammen regiert. Beteiligen sie sich jetzt in vollem Umfang am Abbau der Projekte, die sie früher selbst mit umgesetzt hat?

Treppenaufgang im Abgeordnetenhaus in Berlin. /// © Juri Oskar Eigel

MS: Die SPD bezieht nicht wahrnehmbar eine Position für die Kultur und schließt sich zu oft der CDU an – obwohl sie sich als Koalitionspartner auch wehren könnte. Sicherlich wird in der ein oder anderen Podiumsdiskussion mal Kritik am großen Partner geübt - aber es spiegelt sich nicht in Handlungen wider.

B: Joe Chialo, der letzte Kultursenator, hat vorgeschlagen, dass sich die Berliner Institutionen mehr private Sponsor*innen suchen sollen. Was hältst du von einer Zusammenarbeit von Kulturinstitutionen mit Unternehmen?

MS: Es macht Sinn, sich Sponsor*innen zu suchen, solange die nicht die laufenden Kosten tragen und der Charakter der Einrichtungen erhalten bleibt. Ich habe keine Lust auf eine Volkswagen-Bühne oder ein Deutsche-Bahn-Theater. Das sollen die Volksbühne und das Deutsche Theater bleiben. Es geht darum zu schauen, was zu einer Bühne passt, ohne dass sie sich verkauft.

B: Ist diese Art der Zusammenarbeit zwischen Privatwirtschaft und Kulturbetrieb nicht generell problematisch? Wer Geld gibt, hat auch Ansprüche, die die Unabhängigkeit der Häuser beschädigen könnte …

MS: Ich finde, da muss man einen Unterschied machen. Wenn ein Kulturbetrieb auf Sponsor*innen angewiesen ist, finde ich eine Kooperation schwierig. Aber für zusätzliche Projekte, denke ich, kann das durchaus sinnvoll sein. Dann soll der Mäzen sich von mir aus damit schmücken, wenn dadurch Dinge ermöglicht werden, die sonst nicht drin wären. Aber die Häuser dürfen nicht erpressbar werden und es sollte thematisch passen. Dass die Staatsoper von ThyssenKrupp gefördert wird, könnte ich mir nicht vorstellen.

Anmerkung der Redaktion:
Die Berliner Kulturszene und progressive politische Haltungen sind bis heute oft eng miteinander verbunden. Doch auf nationaler Ebene hat sich der Wind gedreht. Spürbar wird das immer häufiger. Zuletzt fiel beispielsweise der Staatsminister für Kultur mit der Forderung auf, öffentlich geförderte Institutionen mögen doch bitte auf das Gendern verzichten.

B: Mit Wolfram Weimer wurde ein Konservativer in die Rolle des Staatsministers für Kultur berufen. Wird das Auswirkungen auf die Stadt Berlin und ihren Kulturbetrieb haben?

MS: Das kann ich im Moment noch nicht einschätzen. Monika Grütters, ebenfalls CDUlerin, hat sich sehr stark für Berlin eingesetzt. Kulturstaatsminister Weimar hat sich die Frage nach der Kulturinfrastruktur als Thema gesetzt. Aber wie er sich als Person auf die Berliner Kultur auswirken wird, wird sich noch zeigen – spätestens nächsten Sommer, wenn die Hauptstadtverträge (Anmerkung: Verträge über die finanzielle Förderung der Stadt Berlin durch die Bundesrepublik) neu verhandelt werden. Absehbar ist, dass es harte Verhandlungen sein werden.

Ein Grundrecht: Die Kunstfreiheit

B: Kulturstaatsminister Weimer attestiert dem deutschen Kulturbetrieb ein Freiheitsproblem. Was ist dein Eindruck, wie es um die Kunstfreiheit in Deutschland bestellt ist?

M: Das ist eine schwierige Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt. Ich mache das mal am Thema Antisemitismus in Berlin fest. Wir hatten auf einmal Menschen, die das Existenzrecht Israels in Frage gestellt haben. Das hat mit Kunstfreiheit nichts mehr zu tun. Es gehört dazu, dass in der Kultur auch mal Grenzen überschritten werden müssen, aber in dem Moment, wo es gegen die Menschenrechte oder das Grundgesetz geht, kann ich keine Toleranz mehr aufbringen. Gleichzeitig gibt es aus meiner Sicht keinen Masterplan gegen solche Verstöße, da hilft keine Klausel, die auch wiederrum die Redefreiheit einschränkt.  Dafür zu sorgen, dass Menschen sich zurücknehmen, um die Förderung ihrer Arbeit nicht zu gefährden, ist auch keine demokratische Lösung. Auch Positionen, die nicht den eigenen entsprechen, müssen ausgehalten werden. Insbesondere auch beim Thema Nahost. Wir müssen die Debatte inhaltlich führen, anstatt formale Redevorschriften einzuführen.

B: Findest du, der Berliner Kulturbetrieb hat ein Antisemitismus-Problem?

MS: Ja! Da beziehe ich mich auch auf konkrete Beispiele, bei denen Menschen jüdischer Herkunft ausgegrenzt wurden. Oder Veranstaltungen, bei denen die Hamas als Befreiungsarmee gefeiert wurde. Das Existenzrecht Israels wird bei uns in der Partei nicht in Frage gestellt. Gleichzeitig vereint „Die Linke“ unterschiedliche Positionen zur Lösung des Konflikts. Ich finde, es braucht eine schnelle Lösung im Interesse der Zivilist*innen, die jeden Tag leiden. Das Morden und Aushungern muss beendet werden.

B: Seit 2016 sitzen auch Abgeordnete der gesichert rechtsextremen AfD im Berliner Abgeordnetenhaus. Hat sich deine Arbeit als Kulturpolitikerin dadurch verändert und wie positionierst du dich zu einem potenziellen AfD-Verbotsverfahren?

MS: Wir hatten gerade eine Debatte in der Aktuellen Stunde, in der ich dachte: „Um Himmels willen - bist du jetzt in der Weimarer Zeit, ist jetzt 1933?“. Es ging eigentlich um etwas ganz Banales, aber ein Vertreter der AfD hat die Bühne für eine unglaublich spaltende Rede genutzt, die nichts mit dem Thema zu tun hatte. Inzwischen werden in jeder einzelnen Plenarsitzung Grenzen von Seiten der AfD überschritten. Wir sollten dort anfangen, wo nachweislich keine verfassungsrechtliche Grundlage mehr gegeben ist: bei der AfD. Ich bin für eine ernsthafte Prüfung eines Verbotsverfahrens, denn gegenüber einer Partei, die unsere Demokratie abschaffen möchte, sollten wir keine Toleranz zeigen.

B: Vielen Dank für dieses Interview!

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