Kneecap - mit Genuss die Zähne knirschen lassen

Zwischen Hagiographie, Nachahmung und angepasstem Kulturprodukt sorgen Biopics oft für Diskussionen.
Kneecap bricht mit Genre-Konventionen und trifft gerade deswegen unvermittelt ins Schwarze.

80 % ketamin | 10 % gälisch | 10 % rap

© Kneecap Films Limited, Screen Market Research Limited ta Wildcard, The British Film Institute 2024

Geschichten über Bob Dylan, Keith Jarrett, Marilyn Monroe, Priscilla und Elvis Presley, Nelson Mandela, Robert Oppenheimer, Freddie Mercury und/oder sogar Donald Trump prägen unsere Kinoleinwände. Obwohl das Genre des Biopics nicht neu ist, hat es in den letzten Jahren einen bemerkenswerten Aufschwung erlebt. Die Welle an biografischen Filmen ist kaum zu übersehen, ebenso wenig der implizite Personenkult, die Verkörperung biografischer Rollen schlägt sich dabei in einer Vielzahl an Oscars nieder. Das Format vermittelt uns eine formelle Sicherheit, erlaubt (vermeintliche) Einblicke in die intimen Leben der Stars und bietet vertraute narrative Anhaltspunkte. Aber dieser narrative Komfort hat seinen Preis.

Musikalische Biopics leiden oft unter einer gewissen Feigheit oder Furcht vor Experimenten, künstlerischer Freiheit, die durch Rechteinhaber eingeschränkt wird. Es wird mimetisch gespielt, à la Oscar-Jagd (sorry, Timothee Chalamet Fans), zum Mythos des missverstandenen Genies verklärt (meist männlich). Das Genre versinkt bisweilen in Hagiographien: grandiose Karrieren, gespickt mit gerade genug Schwächen, um das Mythische zu stabilisieren, nicht aber zu gefährden.

Wenn das Biopic politisch ist, leidet es unter dem Bedürfnis, nur sehr bekannte, aussergewöhnliche Persönlichkeiten darstellen zu müssen. Pseudo-Intimes und Politisches verknüpfen sich oft auf Kosten systemischer Dimensionen der auszutragenden Konflikte und Kämpfe. Die Erzählungen verkommen zu introspektiven, ich-zentrierten Narrativen, die reale Machtverhältnisse überspielen. Allzu oft ermüdet das Genre mit seinen Konventionen: Kindheitstrauma, Aufstieg zum Ruhm, Fall, Erlösung. Ganz zu schweigen von der Darstellung von Frauen in Biopics, die unter zahlreichen Klischees leiden.

© Kneecap Films Limited, Screen Market Research Limited ta Wildcard and The British Film Institute 2024

Und dann kommt ein Film wie Kneecap, der beides, Politik und Musik, gekonnt vereint. Unter der Regie von Rich Peppiatt erzählt dieses Biopic den Weg der gleichnamigen irischen Rapgruppe, gegründet 2017, engagiert für die gälische Sprache und Bürgerrechte in Belfast. Doch hier spielen sich die Bandmitglieder Mo Chara, Móglaí Bap und DJ Próvaí in einer Art Auto-Biopic selbst.

Sicherlich enthält der Film klassische Biopic-Motive: einen abwesenden Vater, chaotische Anfänge, Drogen, die Sublimierung von Gewalt durch Musik, späte Anerkennung - Kneecap erinnert hier an Fatih Akins Rheingold,  der ebenfalls den Weg eines Rappers von der Haft zum Erfolg nachzeichnet.

Doch wird all dies verfremdet und überzogen von einer Kamera, die den Zuschauer ebenso herausfordert, wie die Rapper das Establishment. Frenetisch, nervös, teils chaotisch, durchbricht der Film die vierte Wand, Lyrics werden direkt auf dem Bildschirm getaggt (ähnlich wie in Kirill Serebrennikovs Musik-Biopic Leto). Hier wird alles zertrümmert. Der Schnitt, Szene an Szene gehetzt, dann die Ästhetik der Geschwindigkeit und des Durcheinanders, im Einklang mit der politischen Radikalität des Anliegens: das Überleben der gälischen Sprache angesichts 800 Jahren britischer Unterdrückung, personifiziert durch eine einfache, englische Polizistin, die dem Protagonisten befiehlt: „Speak English!“, - und damit in einem einzigen Satz die Gewalt kolonialer Geschichte verdichtet.

Indem sie ihre eigene Geschichte selbst neu schreiben, ziehen Kneecap die Regeln des Biopics ins Lächerliche. Der Film will nicht gefallen, sondern wehtun, um Wut und Dringlichkeit umso unmittelbarer spürbar zu machen. Vielleicht trifft Kneecap gerade deshalb so genau ins Schwarze: Er zeigt den Konservativen, auch den Irischen, den Mittelfinger, und zwar gerade jenen, die sich nach Jahrhunderten des Kampfes unter der Führung großer politischer Figuren über zwei Junkies empören, die plötzlich auftauchen und Rap spucken.

Doch durch den Angriff auf die kleinbürgerliche Wohlanständigkeit, mit schmutziger Freude, sucht Kneecap, wie auch der Rap selbst, nach roher, beinahe körperlicher Wirksamkeit. Sprache wird hier nicht mehr auf ein Podest gestellt : sie wird aus dem Kontext gerissen, wird mitten auf die Straße geschleudert. Ja, das knallt, das provoziert, aber nie auf Kosten des Engagements. Hinter Punchlines und Drogen-Trips bleibt die Erinnerung an Kämpfe, die Wut der Vergessenen und der unbeirrbare Wunsch, ein revolutionäres Ideal zu verkörpern.

Gleich zu Beginn des Films sagen die Rapper im Voice-Over: Sie wissen nicht, ob sie die Besten waren, oder einfach nur die Ersten. Aber sie waren da, und sie haben es getan. Es geht hier nicht um mythische Helden, sondern um Menschen, für die Musik eine Notwendigkeit war, ein letzter Ausweg.

Der Vater eines Rappers, ehemaliger Funktionär der IRA, bringt es auf den Punkt: „Jedes Wort auf Irisch ist eine abgefeuerte Kugel für die irische Freiheit.“ Der Film lebt auch von imperfekten Figuren, etwa einem DJ, einem älteren Musiklehrer, der seine Frau verlässt, um seinen Traum zu verwirklichen. Auch sie kämpft für den Erhalt der gälischen  Sprache, aber auf dem „richtigen“ Weg, ohne Drogen und ohne Grenzüberschreitungen. Die Band Kneecap hat den Glauben an den richtigen Weg aufgegeben, da das entsprechende Gesetz damals nicht gewählt wurde.

© Kneecap Films Limited, Screen Market Research Limited ta Wildcard and The British Film Institute 2024

Im Film, wie im Band-Leben, bleibt ihnen nur die Radikalität als Ausweg übrig: der Rapper Mo Chara, eines der Gruppenmitglieder, forderte einst seine Fans auf, den örtlichen Abgeordneten zu „töten“, mit der Begründung: „Ein guter Konservativer ist ein toter Konservativer.“ Aussagen, die dazu führten, dass er von Festivals wie 'Hurricane' und 'Southside' dieses Jahr ausgeladen wurde.

Diese Positionen schockieren, wie auch der Film verstören kann. Doch er bleibt ein visuelles Manifest, ein Akt des Widerstands mit Körper und Haltung. Und wenn man sie schon nicht mehr live sehen kann, sollte man sich zumindest vom Film durchschütteln lassen.

Ist ein erfolgreiches Biopic am Ende nicht eines, das überläuft?

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