Bilderbuch: Die Beständigkeit des Wandels

Schick Schock liegt eine ganze Dekade hinter uns und Bilderbuch ist noch immer allgegenwärtig. Über die extravagante Lässigkeit der vielleicht wichtigsten österreichischen Band dieses Jahrtausends in einem kleinen großen Überblick des bilderbuch’schen Schaffens.

99% avantgarde  /// 75% dekonstruktion /// 150% artsy

© Daliah Spiegel / Spiegel

„Sag es laut! / Du bist hinter meinem Hintern her!“ sind die ersten Worte des Songs Schick Schock der FM4-Lieblingsband Bilderbuch. 2015 gelingt mit dem gleichnamigen Album der große Durchbruch. Alle hören Maschin und das Denkmal, das sich die Band damals musikalisch setzt, klingt bis heute nach. Doch Bilderbuch ist so viel mehr als nur 10 Jahre Schick Schock. Zwischen Indie-Anfängen, der besonderen Lässigkeit des Erfolgs und der Avantgarde der letzten Jahre tummeln sich vier Oberösterreicher unter den hochkarätigsten Acts des DACH-Raums.

Doch beginnen wir ganz am Anfang, noch vor Schick Schock, Konzerten in Schönbrunn und Frequency-Headliner-Shows. Das junge Bilderbuch zeigt sich zum ersten Mal mit dem Album Nelken & Schillinge. Man hört darauf klassischen Indie-Rock, Maurice Ernsts Gesang ist noch deutlich gemäßigter. Dennoch überleben einige Songs aus dieser Zeit als heimliche Favoriten. Joghurt auf der Bluse oder Calypso sind nicht nur den Fans erster Stunde ein Begriff. Auf ein dazugehöriges Remix-Album mit dem Titel Bitte, Herr Maertyrer folgt 2011 Die Pest im Piemont. Hierauf hat die Band bereits die Richtung der nächsten Jahre eingeschlagen. Textlich hört man das Bilderbuch, das Jahre später riesengroß wird. Ein sensuelles „Dieses bisschen Creme ist vorzüglich für die Haut“, dass sich wiederholt ist nur ein kleiner Auszug. Bei diesen Alben sitzt außerdem noch Andreas Födinger am Schlagzeug, der heute manchen als AF90 ein Begriff ist. Doch das vorläufige Highlight der Bandgeschichte sollte mit Philipp Scheibl an den Drums folgen.

Autotune-Falco und „rivers of cash-flow”

2015 folgt die Sternstunde der oberösterreichischen Band. Mit Schick Schock stürmen sie Platz 1 der österreichischen Charts und gehen doppelt Platin. Der standesübliche Falco-Vergleich folgt sofort. Maurice Ernsts Extravaganz in Auftreten, Gesang und Sprache helfen da mächtig mit. Das Album startet mit einer großen Portion Tanzbarkeit, hält die Zuhörenden mit einer lüsternen Mitte im Bann und wird mit dem bittersüßen Abschied beschlossen. Dieser erste Schritt in die Avantgarde Art-Pop Richtung der Band zeigt sich auch durch den damals unkonventionellen Einsatz von massivem Autotune. Sie schaffen mit Plansch den alternativen FM4-Sommerhit 2013. Folgerichtig wird dieses Album auch 2016 zum Album des Jahres bei den Amadeus Music Awards gekürt. Doch wie geht es für eine Band weiter, wenn sie (in Österreich) alles erreicht hat?

Bilderbuch gibt mit Magic Life die Antwort darauf. Man knüpft stilistisch an die Schick Schock-Zeiten an, schafft aber ein nicht gekanntes Soundbild. Bilderbuch begibt sich immer weiter in das dekonstruierende Prinzip. Das Album enthält u.a. Snippets, die nicht einmal eine Minute dauern und hat wenige Höhepunkte. Es ist vielmehr eine Verarbeitung des kometenhaften Aufstiegs der vier jungen Männer. Einleitend wird das stressige Leben thematisiert, auf dem Überhit Bungalow wird von den „rivers of cash-flow“ gesungen, auf einem weiteren Song wird das ständige Fort-Sein der musikalischen Vagabunden aufgenommen. Auch das Hinterherwerfen, das große Firmen für die Promotion ihrer Produkte betreiben, wird angesprochen, noch weiter unterstrichen durch eine Bühnenwand aus weißen Sneakern bei der folgenden Tour. Statt einer Kopie des Erfolgsrezepts, pimpt Bilderbuch das bisher Bekannte auf.

Die neue Avantgarde

Dass Bilderbuch schon immer etwas extra ist, wäre untertrieben. Doch mit den Alben mea culpa und Vernissage My Heart werden neue Standards gesetzt. Statt einem weiteren Album, das einen großen Hit liefert, passieren zwei Schaffungsprozesse Hand in Hand. Auch klanglich werden neue Wege eingeschlagen. Scheibl spielt ab sofort E-Drums, die Produktion ihrer folgenden Projekte ist rein digital. Es ist ein Erwartungen-mit-Vorsatz-Enttäuschen. Im Dezember 2018 wird mit mea culpa direkt die Schuld für diese Enttäuschung auf sich genommen, aber ebenso das ständige Suchen nach Gefühlen, speziell Liebe, in den Fokus gerückt. Songs über brechende Herzen oder der provisorische Love-Song Checkpoint (Nie Game Over) geben dabei die inhaltliche Stimmung vor - konträr zum Sound. Die Songs sind auf das Minimum des Inhalts heruntergebrochen, Texte sind simpel gehalten, sowie durch beinahe unmusikalische Geräusche vollendet. Einige Songs dieser Schaffensphase werden auch als Cloud-Pop bezeichnet. Auf dem nur zwei Monate später folgenden Vernissage My Heart verarbeiten Bilderbuch weiterhin ihren kometenhaften Karriereweg. Zeilen wie „Ich bin nur das Bild, das du von mir liebst“, oder der Songtitel Ich Hab Gefühle zeigen hier ein Flehen danach als echter Mensch und nicht nur als Projektionsfläche der Kunst wahrgenommen zu werden. Das Album ist die bilderbuch’sche Ausstellung ihres Innersten. Ob man auf diesem Album dann jedoch eine Zeile, wie „Ihr Busen hüpft, wenn sie den Frisbee catcht“, oder einen zehnminütigen Song über die eigenen Privilegien als freier Mensch in der EU braucht, bleibt dahingestellt. Aber auch diese inhaltlichen Ausflüge sind Bilderbuch.

Zurück zum Ursprung und dahinter hinaus

Bilderbuch ist die größte einheimische Band unserer Zeit. Zwei Konzerte vor dem Schloss Schönbrunn, eine Frequency-Headliner-Show, sogar eine eigene Ausstellung (quasi eine Vernissage Their Hearts) über die zwei letzten Alben, inklusive Podcast-Audioguide. Und wie immer in der Diskographie dieser Band wird man überrascht von dem, was folgt. Gelb ist das Feld verhält sich im absoluten Gegensatz zum Lauf der modernen Popmusik. Das Album ist über eine Stunde lang und von einer erhabenen Schaffensphase geprägt. Maurice Ernst redet in Interviews befreit darüber, was man nun wieder ohne Scham darf (z.B. Fleetwood Mac hören). Bilderbuch treibt es auf diesem 2022er-Release in die Romantik. Es geht darum, wie die Welt Ab und Auf geht, das Klima zwischen uns wärmer wird und um die Distanzen-überwindende Liebe unserer überdigitalisierten Welt. Auf einer Tour durch klassische Konzerthäuser wird eine Retro-Ästhetik angelegt. Mizzi Blues Gitarren sind immer wieder Akustik, auf den Songs sind Synthesizer zu hören, Autotune sucht man vergebens. Bilderbuch erlaubt sich etwas Neues, das so klassisch ist, dass es sich wieder spektakulär anfühlt. Eine Band, die gefühlt alles kann, geht zum musikalischen Ursprung zurück. Aber wohin geht es, wenn man wieder ganz am Anfang steht?

Es geht noch weiter zurück, zum Psychedelic-Rock! Die EP Softpower ist upgespaced auf eine Art und Weise, die man selbst bei Bilderbuch nicht kannte. Das ganze Projekt ist wie ein halluzinogener Trip. Sensueller Gesang, Gitarrenriffs wie aus vergangenen Jahrzehnten und die prägende Coolness der Oberösterreicher stehen im Mittelpunkt. Ein wichtiger Einfluss dieses Projekts ist der Shoegaze der Britpop-2000er. Schwelgerische Klänge, die einen in Traumsequenzen befördern, werden mit Soundwänden aus Gitarren gebildet. All das durch die Hilfe elektronischer Effektgeräte. Während Bilderbuch diese Gitarrenwände musikalisch aufbaut, werden sie auf textlicher Ebene eingerissen: „Du baust dir Mauern, but I’ve got Softpower“.

And now?

Bilderbuch hat in zwanzig Jahren Bandgeschichte konstant überrascht und musikalische Wege geebnet. In einer Welt voller Artists, die sich immer mehr an Algorithmen und klanglichen Trends orientieren, sind sie unapologetically sie selbst. Was folgt nun? Keiner weiß es, womöglich noch nicht mal die Band selbst. Ob sie es aus dem Psychedelic-Shoegaze hinausschaffen, oder in nostalgische Träumerei verfallen, wird sich zeigen. Nicht umsonst ist die letzte Zeile, die man uns hinterlässt: „Kein easy Way out“

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