Berlinale ‘24: In Another Country

Über die neuen Filme von Hong Sang-Soo & Nele Wohlatz und sprachliche Entfremdung.

(c) Victor Juca

In Hong Sang-soos Yeohaengjaui pilyo (int. Verleihtitel: A Traveler’s Needs) spielt Isabelle Huppert nach Dareun Naraeseo (In Another Country, 2012) und La caméra de Claire (Claires Camera, 2017) zum dritten Mal im Werk des Südkoreaners eine Französin, die diesmal Iris heißt und aus etwas undurchsichtigen Gründen in Südkorea gelandet ist. Sie wird uns als Französischlehrerin vorgestellt, deren Methoden den durch das deutsche oder österreichische Schulsystem geschleusten Zusehenden aber eher ungewöhnlich vorkommen müssen. Eine ihrer (erwachsenen) Schülerinnen, eine gut situierte Filmproduzentin, fragt in ihrer ersten Stunde entgeistert, wo denn das Lehrbuch sei. Iris arbeitet stattdessen mit einem Stapel Karteikarten, auf die sie einzelne französische Sätze schreibt. Zuvor fragt sie ihre Schülerinnen in verhörähnlichen Szenen nach ihren Gefühlen aus, die sie etwa beim Musizieren empfinden. Die initialen, oft einsilbigen Antworten („Wie fühlst du dich, wenn du Klavier spielst?“ – „Mmmh. Glücklich.“) sind ihr dabei nicht genug, Iris versucht zu einem emotionalen Kern vorzudringen, den sie dann in ihrem Karteikarten-Satz verdichten kann.

Das ist auch ein Kern von Yeohaengjaui pilyo: Hupperts Figur möchte ihren Schülerinnen nicht die üblichen touristischen Phrasen beibringen, die man für gewöhnlich als erstes (und oft einziges) lernt, sondern ihnen zunächst zeigen, dass die fremde Sprache in der Lage ist, Gefühle auszudrücken, wie sie an einer Stelle erklärt. Später könne man dann vielleicht ein Buch lesen, das den Schülerinnen gefällt. Ob diese Lehrmethode erfolgreich ist, weiß Iris nicht einmal selbst, wie sie der skeptischen Filmproduzentin ganz offen gesteht, schließlich habe sie sie gerade erst erfunden. Die Zweifel der Schülerin werden mit einer Runde Saeng-Makgeolli, einem Spaziergang und Gesprächen über koreanische Gedichte auf Steintafeln erstaunlich leicht aus dem Weg geräumt. Wenn man Isabelle Huppert so im Kleid und Strohhut unbekümmert durch die für Hong Sang-soo üblichen leicht variierten Wiederholungsschleifen spielen sieht, kann man sich eigentlich nur wünschen, dass Sprachenlernen mit dieser Methode funktioniert.

Mindestens so leichtfüßig wie Huppert navigiert sich Nele Wohlatz‘ Dormir de olhos abertos (Sleep with Your Eyes Open) durch die noch stärker verflochtene Sprachlandschaft der brasilianischen Küstenstadt Recife. Wiederholungen, Verbindungen und beschriebene Karten (diesmal sind es keine Kartei-, sondern Postkarten, auf denen Gefühle festgehalten werden) bestimmen auch diese Erzählung migrantischer Erfahrungen. Aber wo Iris und ihre Schülerinnen in Yeohaengjaui pilyo sich noch auf Englisch verständigen konnten – einem Mittelweg gewissermaßen, ein common ground – tritt die Sprache als Ausdrucksmittel in Dormir de olhos abertos noch stärker fragmentiert auf.

Bereits vor Beginn des Films wird das deutlich, wenn in den Untertiteln ein seltener Metakommentar zu lesen ist: die portugiesischen Passagen werden in Gelb, alle anderen in Weiß untertitelt sein – ein Versuch, die Erfahrung der Mehrsprachigkeit im Film zu übersetzen, auch wenn er natürlich von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, aber immerhin: ein Versuch. Zunächst begegnen wir Kai, einer Taiwanesin, die am Flughafen von ihrem Partner versetzt wird und nun allein in Recife Urlaub macht. Später treten andere Hauptfiguren in den Film: Fu Ang etwa, der ein Regenschirmgeschäft führt in Erwartung der bald kommenden Regenzeit. In einem Hochhaus leben eine Gruppe chinesischer Arbeiter*innen ohne Verträge und sonstige Papiere und Xiaoxin, die auf Spanisch ihre Gedanken auf Postkarten niederschreibt, um die in Buenos Aires gelernte Sprache nicht zu verlieren.

Die Figuren fließen zusammen und wieder auseinander, zarte Verbindungen entstehen durch ein gemeinsames Gefühl der Entfremdung in diesem Brasilien, in das man zum Arbeiten oder Urlauben gereist ist. In den flüchtigen Begegnungen, die dabei nicht weniger tiefgreifend das Leben bestimmen, entsteht eine Kraft, die der gleichzeitig erfahrenen Ausbeutung entgegengestellt werden kann.

Im Mittelpunkt steht ein ähnlicher Gedanke wie bei Hong Sang-soo, nur mit einem größeren Fragezeichen versehen: In einer der ersten Szenen trifft Kai, gerade allein in Recife angekommen, in einer Strandbar einen Dolmetscher (Deutsch-Spanisch), den sie mit einer Frage konfrontiert, die auch Hupperts Iris am Herzen liegt: Ob er die Menschen eigentlich wirklich verstehen könne, wenn er sie übersetze. Ist die Sprache nicht schon ein Teil dessen, was wir ausdrücken, wenn wir sprechen – ein Teil, der eben nicht übersetzbar ist? Wahrscheinlich ist es das, was Iris dazu bewegt, ihren Schülerinnen zuerst zu zeigen, dass es möglich ist, in der fremden Sprache seine Gefühle auszudrücken.

Es sind jedenfalls solche Fragen nach Sprache, Entfremdung, dem Leben in Ländern, die weit von der ‚Heimat‘ (was auch immer das sein soll) entfernt sind, die sich anschließend durch meine Berlinale-Erfahrung gezogen haben: Auch in Ruth Beckermanns Favoriten, Faraz Fesharakis Was hast du gestern geträumt, Parajanov? und Matías Piñeiros Tú me abrasas etwa sind sie mir wiederbegegnet.

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