Immaculate - Die Offenbarung der Sydney Sweeney

Sydney Sweeney muss als schwangere Nonne einem fundamentalistischen Kult entfliehen. Simpel. Brutal. Empfehlung.

Sydney Sweeney in Immaculate /// (c) Polyfilm

Es ist das Jahr der Sydney Sweeney! Der Euphoria-Star erlebt zwar mit Madame Web einen Mega-Flop, allerdings war die Zusammenarbeit mit Sony so gut, dass weitere Projekte im Raum stehen. Zudem konnte sie dadurch Wo die Lüge hinfällt drehen, und mit Co-Star Glen Powell das RomCom-Genre wiederbeleben. Und es was ihr möglich, ihr Herzensprojekt, den Horrorfilm Immaculate, zu machen.

Ein Schoßgebet…

Die junge, devote, amerikanische Nonne Cecilia (Sweeney) bekommt einen Platz in einem italienischen Kloster. Neben den Sprachbarrieren (trotz intensiven Lernens kann Cecilia doch kaum italienisch) findet sie sich in der neuen, unbekannten Umgebung auch aus anderen Gründen nicht zurecht: die strenge Ordnung des Ordens und das seltsame Verhalten einiger ranghöheren Nonnen verwirren sie. Doch dann geschieht das Unglaubliche (Pun intendiert): Cecilia wird schwanger, ohne vorher Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Diese „unbefleckte“ (= immaculate) Empfängis wird von den Nonnen und Priestern als Wunder angesehen. Cecilia wird als neue Maria gefeiert und verherrlicht. Dabei setzt diese Schwangerschaft sie zunehmend körperlich unter Druck, und ihr wird untersagt, die Klostergründe zu verlassen…

Cecilias Baby

Als Horrorfilm geht Immaculate gleich zur Sache. Die Eröffnungsszene brilliert durch ihren gekonnten Spannungsaufbau, den sie bis zum Ende der Szene halten kann: Eine unbekannte Nonne versucht in der Stille der Nacht aus dem Kloster zu fliehen, muss ruhig und schleichend vorgehen, und trotzdem wird es ein Wettlauf gegen die Zeit. In der Eröffnungssequenz wird der/ die Zuschauer*in gleich auch um die Brutalität gewahr, welche im Laufe der 89-minütigen Laufzeit des Filmes passieren wird. Der Film weiß, was er ist, und er versucht gar nicht, mehr zu sein. Daher ist er erfrischend kurzweilig. Selbst die Offenbarung des Bösewichts wäre kein Twist, weil der Film in dieser Hinsicht sehr klar kommuniziert.

(c) Polyfilm

Es ist schön zu hören, dass dieser Film ein Herzensprojekt von Sweeney war. Mit 16 (also vor gut 10 Jahren) war sie schon für die Hauptrolle des Filmes gecastet, doch das Projekt verlief im Sand. Nichtsdestotrotz hat die Geschichte sie nie losgelassen, und als sie endlich ihre eigene Filmproduktionsfirma Fifty-Fifty-Films gegründet hatte, besorgte sie sich die Rechte von Drehbuchautor Andrew Lobel. Michael Mohan, der Sweeney in The Voyeurs inszeniert hatte, wurde als Regisseur verpflichtet und verlegte die Geschichte kurzerhand von Irland nach Italien. Eine Entscheidung zum Besseren.

Die Ästhetik und der Look des Films sind ein faszinierender Aspekt des Filmes: „Wie ein Amerikaner sich Europa vorstellt,“ würde man die zunächst unscheinbar wirkenden Sets beschreiben, die alte Gemäuer ohne jeglichen modernen Touch zeigen. So wirkt das Zollamt wie aus der Mitte des 20. Jahrhunderts stammend. Es gibt kein Internet, keine Handys, nur Stein und Marmor. Nichtsdestotrotz ist der Film in der ungefähren Gegenwart angesiedelt, mit moderner medizinischer Technologie.

Einzig mit Zeitspannen hat der Film seine Probleme: Eine Leiche, die schon mehrere Monate lang tot ist und verwest, schaut sicher nicht mehr so frisch aus wie der Film das gerne hätte.

Aus Spaß wurde Damian – und Damian zerstört die Welt

Der Body-Horror-Anteil des Filmes nimmt mit zunehmender Laufzeit und Schwangerschaft zu. Gebrochene Knochen und ausfallende Zähne sind da noch das Harmloseste. Wer empfindsam gegenüber Fingernägeln ist, sollte bei Beichtszenen doch eher wegsehen. Schließlich beweist Sweeney in einem minutenlangen One-Shot-Finale, dass sei eine echte Scream-Queen ist. Schreien ist eine Herausforderung und körperliche Belastung für Schauspieler*innen. Lang und durchgehend ohne Unterbrechung zu schreiben, und das wiederholt, das ist große Kunst.

Der Film kann noch in einem anderen Aspekt dem Body-Horror zugeordnet werden: Denn was gibt es vom Prinzip her Grauenhafteres als eine Schwangerschaft? Ein fremdes Lebewesen wächst in einem Menschen heran und manipuliert nicht nur die Motorik und Physik, sondern auch den Hormonhaushalt des Körpers. Man ist nicht mehr alleinige Herrin ihrer Sinne.

SPOILER-WARNUNG FÜR ANDERE HORRORFILME: Titane lässt ein Hybrid-Baby aus Mensch und Maschine auf das Publikum los, in Prevenge befiehlt das ungeborene Baby seiner Mutter, Morde zu begehen, in der überaus sexuell-konnotierten Alien-Reihe wachsen die Xenomorphe in den Körpern der Opfer heran und brechen dann Tod und Verderben-bringend aus ihnen heraus. Und in The Babadook manifestiert sich Trauer durch fehlende Mutterliebe.

Der Horror wird in Immaculate dadurch noch verstärkt, dass es eine sogenannte unbefleckte Empfängnis war und kein davoriger Geschlechtsverkehr stattgefunden hat. Für Frauen sind Schwangerschaften nach (gewolltem) Geschlechtsverkehr schon traumatisierend und belastend, wie soll das erst sein, wenn es völlig aus dem Nichts passiert. Das „Wunder“ wird zum traumatischen Erlebnis, das dem Resultat einer Vergewaltigung ähnelt.

Die Auferstehung des katholischen Horrorfilms

Immaculate reiht sich in eine Renaissance christlicher Glaubenshorrorfilme ein. Im vergangenen Jahr bekamen wir The Pope’s Exorcist, The Exorcist: Believer, und den österlichen Austro-Horror Family Dinner; um die Zeit des Kinostarts von Immaculate kommen auch das Omen-Prequel The First Omen und Last Night with the Devil heraus.


Roman Polanskis Rosemary’s Baby (1968)
(c) Paramount Pictures

Dieser Film besinnt sich auf den Horror der 60er/70er und der 90er Jahre zurück. Ganz klare Vorbilder sind Rosemarys Baby und Das Omen. In ersterem wird die ungeplante Schwangerschaft einer Frau von einem Kult gekapert und für seine Zwecke missbraucht. Die Mutter ist nur ein Spielball äußerer Einflüsse, ein Vessel für das Kind, das der Welt Frieden oder Verderben bringen soll. Ebenso verhält es sich mit dem Omen, in welchem ein Ehepaar Zieheltern des Teufels werden. Immaculate „leiht“ sich sogar den „Tod durch Sprung vom Dach“-Trope aus dem Film.

Die Wiederbelebung katholischer Horrorfilme in der Mitte der 2020er Jahre könnte eine Antwort auf die Pandemie sein: Eine von äußeren Einflüssen kontrollierte Plage, welche die gesamte Welt heimsucht, und die Existenz zahlreicher Menschen bedroht bzw. diese in tiefe finanzielle Notlagen und psychische Krisen stürzt. Das ist doch prädestiniert für Horrorgeschichten, die sich um die Manipulation des Menschen durch äußere, übernatürliche Einflüsse drehen.

Es herrscht die Meinung, dass Krisen Menschen oft zum Glauben hinwenden oder zurückkehren lassen. Ein visueller Gag aus The Simpsons-Movie zeigt, wie Gläubige aus der Kirchen im Angesichts der riesigen Käseglocke in Moes Bar zu Trinkern werden, während die Alkoholiker zum Glauben finden. In Der Nebel wird der hartgesottene Redneck (William Sadler) wie ein ungläubiger Thomas zum devoten Jünger in Mrs. Carmodys (Marcia Gay Harden) Kult, nachdem er den ersten Angriff eines der Monster mit eigenen Augen selbst miterlebt hat. In vielen Kirchen-basierten Thrillern ist die Motivation des geistlichen Bösewichts, dass die Menschen wieder zum Glauben und zur Kirche zurückkehren sollen. Um als patriarchales System wieder die Kontrolle zu haben und Macht über die Leute ausüben zu können.

Katholische Horrorfilme befassen sich nicht nur mit Tortur durch Dämonen, der An-/ bzw. Abwesenheit von Gott und der Besessenheit durch den Teufel, sondern eben auch mit der patriarchalen Fremdbestimmung durch Kräfte dies- und jenseits der eigenen Ermessungsmöglichkeit. Die Protagonist*innen dieser Filme wie Immaculate versuchen, diesem Schicksal zu entgehen, und einen Weg zurück in die Selbstbestimmung zu finden.

Fazit: Im Kloster ist der Teufel los

Immaculate bietet kurzweilige Unterhaltung und brilliert durch seinen brutalen, mehrdeutbaren Body-Horror sowie Neo-Scream Queen Sydney Sweeney. Ganz im Stile von Rosemarys Baby oder Das Omen geht dieser Nunsploitation ohne große Umwege direkt zur Sache und zielt auf den Horror von Schwangerschaften ab, nicht nur was die Veränderung des eigenen Körpers betrifft, sondern auch, wie Fremdbestimmung das eigene Leben entreißen kann.


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