“Hurra, der Justizpalast brennt!”

Eine Anleitung zum Leben und Sterben in der österreichischen Zwischenkriegszeit. Gesang und gleichgeschlechtliche Liebe im Theater in der Josefstadt inklusive.

(c) Moritz Schell

Anlässlich zum 90. Jahrestag der Februarkämpfe, in denen die Heimwehren der sozialistischen sowie christlich-sozialen Parteien in Österreich aufeinander schossen und die Regierung der Austrofaschisten in Wien sogar Gemeindebauten unter Beschuss nahm, inszeniert Herbert Föttinger in der Josefstadt Leben und Sterben in Wien.

Und weil der Mensch ein Mensch ist …

Die Geschichte beginnt aber schon früher, im Jahre 1927: Rund um das Schattendorfer Urteil. Im burgenländischen Schattendorf wurden bei einer sozialistischen Versammlung zwei Menschen erschossen. Die Täter wurden freigesprochen. Das Urteil schlug Wellen, im Zuge der Proteste wird der Justizpalast in Brand gesetzt. In dieses brodelnde Becken, zwischen die Fronten von Sozialisten, Faschisten, Monarchisten und Nationalsozialisten, stolpert die junge Fanni. Die schwangere Magd ist aus ihrem Heimatdorf geflohen, nachdem ihre „gute Freundin“ Sara - eine Jüdin - von einem aufgebrachten Bauernmob vertrieben und schließlich erschossen wurde. In der Hauptstadt trifft sie auf eine bunte Truppe von linken Idealist*innen und Revoluzzern.

Die restliche Handlung spannt sich über mehrere Jahre und deckt damit die wichtigsten Ereignisse der österreichischen Zwischenkriegszeit - namentlich das Ende der 1. Republik und der Austrofaschismus samt dem Bürgerkrieg 1934 - ab. Die Geschichte und handelnden Personen sind allerdings „völlig frei erfunden“ (Zitat Pressetext). Meist handelt es sich bei ihnen um bekannte Archetypen: Der revolutionäre Akademiker, der mit der Arbeiterschaft eigentlich so gar nichts am Hut hat, die melancholische Monarchistin, der junge stramme Nazi, katholische Landeier. Fanni selbst startet betont unpolitisch, lehnt die von Sara angebotene Waffe ab, und wird erst durch die Ereignisse in Wien radikalisiert. Wobei sie selbst in diese nur so reinzustolpern scheint. So wirklich schlüssig wirkt ihr Werdegang zur tiefroten Revoluzzerin nie so wirklich - auch weil der Handlung öfters der Biss fehlt.

… drum hat er Stiefel im Gesicht nicht gern

Zwar ist das Stück formell in den 1930er Jahren verankert - bis auf einzelne Momente hält sich die politische Position aber verhalten allgemein. „Italien ist faschistisch, Deutschland am Weg dahin“, so eine Aussage, die vermutlich zwinkernd auch auf die Gegenwart zutreffen soll. Denn gerade diese Zeitperiode verführt zu einem schwierigen Balanceakt, wie man mit der Geschichte umgeht. Was bringt es, über einen dreitägigen Bürgerkrieg mit ein paar hundert Toten vor 90 Jahren zu lernen, wo doch im Hier und Jetzt ganz andere Sachen passieren - wenn man daraus keine Lehren zieht und es mit der Gegenwart verknüpft. Gleichzeitig ist es aber ein Teil der Zeitgeschichte, der im Vergleich zum Zweiten Weltkrieg gerade in Schulen weniger beleuchtet wird. Wie viele wissen, dass man in Österreich schon vor dem “Anschluss” keine Republik mehr war, sondern eine Diktatur geführt von der Vorgängerpartei der heutigen ÖVP?

Allerdings ähnelt durch diesen versuchten Spagat zum Gegenwartsbezug und Allgemeingültigkeit jede Positionierung eher wie eine allgemein mahnende Presseaussendung auf Twitter, als einer klarer Einordnung realer Ereignisse und gesellschaftlicher Strömungen eines bestimmten Punkts unserer Zeitgeschichte. Wirklich konkrete Verbindungen zu bestimmten historischen Ereignissen nehmen erst nach der Pause zu. Aber selbst hier arbeiten die Figuren eher mit altgedienten Phrasen. Als positives Beispiel sei aber eine Szene hervorzuheben: Ein Streit im Nebel unter einer Brücke zwischen zweier Attentäter, der eine Rot, der andere Braun. In manchen Szenen wie diesen kommt doch ein böser satirischer Biss zu Tage, der nur leider viel zu selten wirklich zur Geltung kommt.

Springtime for Hitler

Der Vorhang geht auf, Bauern schunkeln im Kreis. Eine Frau steht an einem Pfahl am Scheiterhaufen. Sie kratzt sich die Nase. Sollten ihre Arme nicht festgebunden sein? Der erste Eindruck täuscht, die Frau, Fanni, lehnt nur wartend an einem Laternenmasten. Dieser Moment soll sinnbildlich für den Rest des Abends stehen, und die Frage eines unebenen Stils und (unabsichtlicher) Querverbindungen. Es beginnt schon mit der Sprache: Das Sprachbild an sich erinnert an ältere Werke wie Geschichten aus dem Wienerwald. Der Authentizität wegen vielleicht. Personen sprechen in halbfertigen Sätzen, oft bleibt das letzte Wort (meistens Verben) unausgesprochen. Es macht das Gesagte oftmals bedeutungsschwanger. Doch kann es auch sein, dass es einem in seiner Beständigkeit auch etwas auf den Nerv… . Dann wiederum wirft jemand ein flapsiges „Sorry“ in den Raum. Was will das Stück denn nun eigentlich von uns?

Begleitet wird die Handlung auch von einem Chor, der in Broadway-esquen Gesangseinlagen den Stand der Dinge und historische Ereignisse darbietet. Bis auf ein Arbeiterlied des fahnenschwenkenden Mobs rätselt man aber bis zum Schluss ob der Pointe des Ganzen. Mittendrin plötzlich eine Revue-Nummer, die stark an die Nummer Springtime for Hitler aus Mel Brooks‘ Film The Producers erinnert. Ob nun beabsichtigt oder nicht erweckt das Stück regelmäßig visuelle Verweise auf andere Werke. Durch die Vielzahl an Stilen, die hier aufeinanderprallen und sich gegenseitig beißen zu scheinen, ist man als Zusehende*r allerdings bereits so sehr verunsichert, dass diese Verweise, sofern sie denn überhaupt welche sind, oftmals geradezu unbedacht bis fahrlässig wirken.

Ein besonders markantes wie abstruses Beispiel: Die junge Tochter von Fanni spielt auf den Straßen Wiens. Sowohl die Stadt als auch die Menschen sind in reinen Braun- und Grautönen gehalten. Sie trägt ein rotes Kleid. Es soll vermutlich ihre Rolle als sozialistisch sozialisiertes Kind einer revolutionären Mutter visualisieren. Der erste Eindruck aber: „the girl with the red dress“, das kleine Mädchen im roten Frack aus Schindlers Liste. Was will das Stück uns damit sagen, wenn überhaupt?

Leben und Sterben

Einerseits ist es begrüßenswert, dass auch weniger beleuchtete Zeitpunkte in der Geschichte vermehrt künstlerisch behandelt werden. Auch, dass es sich dabei um keine staubtrockene und altmodisch biedere Inszenierung handelt. Völlig zufriedenstellend ist das Ganze in Leben und Sterben in Wien aber leider nicht. Dafür ist die Darbietung zu uneben, mit vielen stilistischen Entscheidungen, bei denen nicht ersichtlich ist, inwiefern sie logisch zusammenpassen und ein abgerundetes Ganzes ergeben. Inhaltlich setzt die Handlung auch vieles an Vorkenntnissen über die realen Geschehnisse voraus – was gerade bei dieser Thematik doch recht gewagt erscheint. Das mag den versuchten Gegenwartsbezug unterstreichen; die Frage, ob man sich dabei nun einen Gefallen getan hat, sei mal so dahingestellt.

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