Der morgige Tag geht in die Geschichte ein

C’è ancora domani: Ein Film über die Liebe einer Mutter zu ihrer Tochter, über Selbstbestimmung in schwierigen Verhältnissen und über richtige und falsche Entscheidungen

(c) Tobis

Das Regiedebüt C’è ancora domani (dt. Morgen ist auch noch ein Tag) von Paola Cortellesi zeigt auf subtile Art und Weise, was die Frauen der 40er Jahre geleistet haben, damit wir heute die Rechte haben, die wir haben. Verlieren wir uns nicht in Traumvorstellungen: wir sind noch weit davon entfernt, Gleichberechtigung zu erlangen. Doch die Annahme, dass Feminismus laut, aktivistisch und vor allem radikal sein muss, ist falsch, und das zeigt dieser Film. Feminismus KANN so sein, muss es aber nicht. Gerade im Kleinen, Alltäglichen, etwa in Gesprächen im Freund:innenkreis, wird oft so viel mehr weitergebracht, als man vielleicht vermutet.

Delia (genannt „Dè“, denn hier wird Romanesco gesprochen) ist Mutter von 3 Kindern, Haus- und Ehefrau. Paola Cortellesi beschreibt sie folgendermaßen: „Unsere Delia akzeptiert ihr Schicksal als Frau ohne Rechte in der Familie. Sie ist Ehefrau und Mutter, definierbar nur über die Funktion, die sie hat, nicht über die Person, die sie ist.“ Wir befinden uns im Rom der Nachkriegszeit, wann genau, weiß man zu Beginn nicht, aber noch in den 40er Jahren. Oberflächlich plätschert der Film so vor sich hin, denn eine konkrete Handlung scheint es nicht zu geben.

(c) Tobis

Es geht um das Leben einer Frau wie jeder anderen zu dieser Zeit: Arbeit, Familie und Freundschaft. Und darum, dass Dè seit einigen Monaten heimlich Geld beiseitelegt, obwohl sie es nicht als ihres, sondern als das ihres Mannes bezeichnet. Und dann ist noch etwas: Ivano, Delias Mann, schlägt sie; wegen jeder noch so kleinen Kleinigkeit. Aus Verzweiflung über die Lage ihrer Mutter beginnt Tochter Marcella sie wahrlich zu verachten.

Sie kann nicht nachvollziehen, warum Dè sich so behandeln lässt. Einmal sagt sie: „Bevor ich so wie du ende, bringe ich mich lieber um.“ Marcellas Emanzipierung von ihrer Familie nimmt die Form einer Verlobung mit einem jungen Mann ein, der allerdings Züge des jüngeren Ivano trägt, was Dè beunruhigt. Und dann ist da dieser Brief. Dieser Brief, der an Dè adressiert ist, den sie heimlich bei sich trägt, ihn zusammenknüllt, in den Müll wirft und später wieder herausholt. Bis zum Ende weiß man nicht, was in diesem Brief steht, aber er hat etwas Großes zu bedeuten.

Subtil ist der Film auch in seiner Kinematographie: schlicht ist das Set, die Kostüme, das Makeup, die Dialoge. Doch es ist diese Schlichtheit, die ihm Glaubwürdigkeit gibt und die die Taten von Delia noch eindrucksvoller wirken lässt. Was den Film so besonders macht, ist, dass er die kleinen Gesten hervorhebt. Die Gesten einer Mutter, die für ihre Tochter lebt und ihr eine bessere Zukunft gestalten möchte, ohne dass es dieser bewusst ist. Die Gesten einer Frau, die Angst hat, Angst vor ihrem Mann, Angst vor seiner Wut, Angst vor seinen Händen. Eine Frau, die unglaublichen Mut beweist. Ein Mut, der für viele nicht das Gesicht des Mutes trägt. Diese Frauen, die es (leider) zahlreich gab, sind mitunter auch der Grund dafür, warum wir heute wählen, uns scheiden lassen oder unser eigenes Geld verdienen können. Sie bilden, wie Paola Cortellesi sagt, das Skelett und die Muskeln Italiens, ohne, dass es ihnen selbst bewusst war.

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