Viennale-Miniaturen
Fabian Lutz über neue Filme von Werner Herzog, Aleksandre Koberidze und Radu Jude.
© Alexandre Koberidze
Ghost Elephants
Auch ein Werner Herzog wird alt. Ganz passend, dass im Mittelpunkt seiner neuesten Doku der Elefant steht, ein Tier, das alt und urtümlich wirkt. Und Herzog wird noch urtümlicher: Sein Trip an der Seite des südafrikanischen Tierforschers Steve Boyes führt ihn nicht nur auf die Spuren der Nachfahren des größten Elefanten der Welt, sondern auch ins Reich der Geisterelefanten. Ganz nachvollziehbar sind die Motivationen der Herzog’schen Protagonisten eh nie, ob es sich nun um einen Kinski handelt, der ein Schiff über den Berg ziehen will, einen Mann, der Grizzlys liebt oder eben einen Forscher, der sphärische Dickhäuter jagt. Aber genau das macht Herzogs Spielfilme und Dokus so interessant – zu sehen, wie die seltsamsten Träumer plötzlich ins Tun kommen. Auch wenn es dabei lebensgefährlich wird. Ein bisschen anders ist Ghost Elephants dann aber doch: Die Doku ist ein klassisches Alterswerk. Konflikte gibt es während der Elefantensuche im Hochland Angolas nicht. Und ganz untypisch für Herzog, der mit seinem heiseren Bavarian English wieder die Tonspur dominiert, fehlt auch der Zynismus. 1982 kommentierte er die nichteuropäische Natur noch mit folgenden Worten: „The birds don’t sing, they screech in pain.“ 2025 ist von diesen Schmerzensschreien nichts mehr zu hören. Die Geisterelefanten stampfen träumerisch durch die Gewässer, während die Kamera in hochaufgelösten Kamerafahrten über eine Herde von Gazellen fliegt. Als wäre das dem Regisseur selbst zu kitschig, gibt es am Ende noch etwas Ironie. Zum Mystiker ist Herzog auch im Alter nicht geworden.
Dry Leaf
Mitten in Dry Leaf zoomt die Kamera in den Traum des Protagonisten. Die Pixel werden größer, klobiger, bis nur noch einzelne Bildflächen übrigbleiben. Die beginnen zu flackern, ändern willkürlich ihre Farbe. Als die Kamera wieder herauszoomt, sind wir an einem anderen Ort. Wie wenige andere gegenwärtige Regisseure macht Aleksandre Koberidze Filme, die Tagträumen ähneln. Alltagsnahe Geschichten, die sich zu überdimensionalen Episoden strecken, diverse Nebenhandlungen etablieren – und wieder fallen lassen. Jedes Detail, jeder Zaun, jedes Pferd, jeder Hund wird plötzlich Protagonist – und verschwindet mit dem nächsten Schnitt. Koberidzes dritter Spielfilm Dry Leaf ist ein ästhetisches Abenteuer. Gedreht auf einer uralten Handykamera und untermalt mit zauberhaften Klangteppichen folgen wir einem Mann auf der Suche nach seiner Tochter. Es geht durch idyllische georgische Landschaften, Wiesen, Wälder, Pixelmeere. Nicht selten verlässt die Kamera den Protagonisten, entweder, weil er innerhalb der Unschärfen gar nicht mehr kenntlich ist oder weil die Landschaft längst zur eigentlichen Hauptdarstellerin geworden ist. Alles weitere versinkt in Assoziationen. Wer während den unwirklichen 190 Minuten ein bisschen schläft, ist am Ende nicht unbedingt unklüger als die Person, die mit geschultem Arthouse-Blick auf die Leinwand starrt. Unbedingt ein Kompliment!
Dracula
Wer den rumänischen Regisseur Radu Jude kennt, weiß, dass seine Filme keine Gefangenen machen. Geschossen wird dabei in zwei Richtungen: Einmal gegen das eigene Land – korrupt, vergangenheitsvergessen, kapitalistisch verseucht. Und einmal gegen den Rest der Welt – korrupt, vergangenheitsvergessen, kapitalistisch verseucht, imperialistisch. Dracula ist eine besonders harte Abrechnung. Dabei nutzt Jude den aktuellen Kinohype um Bram Stokers klassischen Stoff (siehe Robert Eggers, Luc Besson oder meinetwegen den ironischen „Twilight“-Hype im Netz) auf besonders perfide Weise. Statt bildgewaltiger Erotik (Eggers, zuvor Francis Ford Coppola) sehen wir billige, hyperartifizielle Pornografie. Dracula erscheint als kapitalistisch geknechteter Sex-Worker, der brav lecken soll, oder als KI-generierte amorphe Wichsfantasie, die irgendwann mehr Brüste als Nippel hat. Ach ja, einen Plot gibt es auch: Ein Regisseur möchte einen packenden Dracula-Film machen und fragt dafür eine KI…
Radu Judes 170-minütiger Experimental-Trash ist schon jetzt umstritten. Aber er macht Spaß, sofern man auf kreativen KI-Missbrauch steht, auf subversives Unterlaufen von Erwartungen – und wenn man dumme Penis-Witze verkraften kann. Möge für jede Person, die während des Screenings im Stadtkino den Saal verlassen hat, ein Baum in der Wiener Innenstadt gepflanzt werden.

