Wenn Orte erzählen

Glücklich schweigen in Paris, Wunschprojekt Alice Rohrwacher und die Photo-Szene in Wien: Ein Gespräch mit dem Fotografen Vincent Forstenlechner über bleibende Spuren und Stimmungsarchive.

Aus dem Projekt Roygbiv / © Vincent Forstenlechner

Ich fotografiere, weil ich beobachten wichtig finde.

Ein Foto muss was transportieren, was man nicht sagen kann.

Für ein gutes Foto brauche ich den Sommer.

Als Fotograph fühle ich mich wohl, wenn ich mich unbeobachtet fühle. Paris ist für mich ein surrealer Ort.

Wien ist für mich gemütlich.

Bohema: Mich überrascht, dass du das sagst. Du studierst zwar gerade noch an der Angewandten in Wien, warst jedoch für viele deiner größeren Projekte, wie Snow Pillars (2020-21) oder Stain of Place (2021-22), oft im Ausland unterwegs und vermarktest dich ausschließlich auf Englisch. Ich habe mich gefragt, ob du dich in Wien überhaupt wohl fühlst.

Vincent Forstenlechner: Wien ist für mich ein Rückzugsort, ich bin sehr gerne dort, mach’ aber dort nicht viel, von dem man sieht, dass ich dort bin. Da werden Sachen abgearbeitet, anstatt neue Dinge anzufangen.

B: Dein Langzeitprojekt Roygbiv ist das Einzige, welches in Wien angefangen hat und die Beziehung zu Salzburg und Umgebung, deinem Kindheitsort, dokumentiert. Was zeichnet dieses Projekt aus?

V: Für mich ist dieses Projekt eine Erzählung von einem gewissen Gefühl. Die Orte in und um Salzburg sind für mich welche, an die ich zwar immer zurückkehren kann, wo Menschen sind, die ich kenn’, aber wo ich praktisch keinen Einfluss mehr habe und nicht mehr so recht mitgestalte. Dadurch, dass ich die gleichen Orte immer zur gleichen Jahreszeit fotografiert habe, stellte sich bei mir ein ähnliches Gefühl ein. Dabei sind Bilder entstanden, die nicht wahnsinnig bearbeitet sind und trotzdem glaube ich, dass eine Geschichte des Ortes entsteht, von dem man nicht wissen muss, wo er geographisch liegt. Es ist eher ein emotionaler Ort, von dem ich hoffe, dass Menschen anknüpfen können, weil er vielleicht ein bisschen entrückt und magisch ist.

B: Du beschreibst deinen fotografischen Prozess in einem anderen Interview als „persönliche und geologische Archäologie.“ Was meinst du damit?

V: Ich finde Archäologie so spannend, weil man ohne klares Ziel so lange gräbt, bis man etwas Bedeutendes findet und mir kommt vor, dass Fotografieren ähnlich funktioniert: du schaust so lange hin, bis du etwas siehst, was da nicht hinpasst. So versuche ich Motive zu finden, die aus der Reihe fallen.

Aus dem Projekt Roygbiv / © Vincent Forstenlechner

B: Roygbiv ist nicht das einzige Projekt, in dem du dich Erinnerungen, Geschichten und konkreten Orten widmest. Woher kommt der Drang sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen? Gab es Schlüsselmomente?

V: Vor allem in größeren Projekten finde ich bleibende Spuren sehr interessant, da diese sich zwar verändern, aber nicht verschwinden und somit keine abgeschlossene Handlung haben. Schlüsselmomente waren bei mir die Sommermonate, in denen ich die Fotographie für mich entdeckt habe und bemerkte, dass ich mich dadurch sozusagen selbst aufzeichne, dass Fotografie für mich so etwas wie ein intensiveres Tagebuch ist, aber natürlich mit vielen Lücken.

B: Das, was auf Bildern zu sehen ist, sind oftmals konkrete Orte. Was speichern sie?

V: Die Orte konservieren eine Stimmung. Man muss die Motive finden, die die Stimmung treffen. Dadurch ist es eher das Immaterielle, worauf es ankommt. Die Stimmung schreibt sich in die Objekte ein und wird durch sie mit transportiert. Das Materielle wird zu einer Art Container. Dabei glaube ich, dass ich keine Arbeiten produziere, die als einzelne Fotografien funktionieren. Fotografieren ist eher ein „bruchhaftes Schreiben“ für mich.

B: Würdest du sagen, dass das Studium an der Angewandten deine Beschäftigung mit Themen wie Erinnerungen, Geschichten und Orten evozierte?

V: Nein, ich denke nicht. Dort lernt man wichtiges Handwerkszeug, gerade in meiner angewandten Fotographie-Klasse, die sich viel mit Auftragsarbeiten auseinandersetzt, und trotzdem kommen tolle künstlerische Arbeiten heraus.

B: Wie ist die Fotografie-Szene in Wien?

V: Sie ist meiner Meinung nach nicht so international, sehr zugänglich und es gibt nicht so viel Konkurrenz. Man bekommt mehr Chancen Dinge auszuprobieren, hat eher mehrere kleine Projekte und es wird nicht so hart geurteilt, was ich gut finde. Ein toller Ort um zu lernen und um von dort aus zu arbeiten, aber man ist nicht so sehr drin wie in Paris.

B: Derzeit lebst du wegen deines Stipendiums an der Cité internationale des arts in Paris. Warum hast du dich in Paris beworben?

Paris, portrait / © Vincent Forstenlechner

V: Um mal mittendrin zu sein und um mich für eine befristete Zeit rein fallen zu lassen. Aber auch um die Paris Photo zu besuchen und die Fotografie-Szene kennenzulernen.

B: Was hast du erwartet und in wieweit hat sich deine Erwartung bestätigt?

V: Ich habe mehr Ruhe erwartet, die nicht eintrat, da wir leider in einer Zeit leben, in der wieder ein Krieg ausgebrochen ist und Paris als Stadt nicht unbekannt dafür ist, dass sie darauf reagiert, was international geschieht.

B: In Paris experimentierst du vor allem mit Portraitbildern im urbanen Raum. Was fasziniert dich an Portraitfotografie?

V: Eine Person auf einem Foto zu sehen ist, meiner Meinung nach, der direkteste Weg Emotionen zu bekommen. Personen sind der stärkste Container von allen Motiven. Ich glaube, dass man die Emotionen am wenigsten verstellt in Situationen, die beruhigt sind. Deshalb fand ich die Gegend um die Seine so spannend, weil es für viele Personen ein Rückzugsort ist.

B: Deine Modelle wirken immer sehr vertieft, nachdenklich und in sich gekehrt. Suchst du aktiv nach den Momenten, in denen sie sich den Betrachter*innen entziehen?

open studio view / © Vincent Forstenlechner

V: Das ist lustig, ich habe wirklich wenige Fotos, wo Menschen lachen. Humor ist selten Teil meiner Arbeit, was ich schade finde, weil ich ihn wirklich liebe. Ich glaube, ich mag den Moment des Entziehens, weil dich die Menschen da nicht so anstarren. Ich fotografiere gerne das, was natürlich da ist und wo die Emotion echt rüberkommt. Mir fällt gerade auf, dass ich oft die Leute suche, die generell von irgendwas abgelenkt sind, ich aber im Foto nicht erklär’ von was.

B: Wenn du frei entscheiden könntest, wen würdest du gerne einmal fotografieren? (Diese Frage ist die Einzige, die Vincent auf die Schnelle nicht beantworten konnte und mir später zukommen ließ).

V: Ich würde gerne die italienische Filmregisseurin Alice Rohrwacher fotografieren, da mich ihre Arbeit sehr inspiriert.

B: Du hast auf Instagram einen Textbeitrag geteilt, in dem du den Satz „Ich möchte schweigsam werden. Das kann man nur mit der Freude“ unterstrichen hast. Warum?

V (lacht): Ich glaube, dass ich generell sehr schnell etwas unterstreiche. Es ist ein Zitat aus Ilse Aichingers Buch Kleist, Moose, Farne. Ich habe diesen Satz auf Paris projiziert, da ich hier ganz ins Beobachten komme. Ich habe hier keinen Alltag, ich kenne hier kaum Leute und wenn ich fotografieren gehe, dann bin ich ganz in mich selbst zurückgezogen und die dabei empfundene Freude ist die Freude am Beobachten und des Sehen-Dürfens und die Möglichkeit hier zu sein; in der privilegierten Rolle das machen zu können, was ich mach ́.

Vincent Forstenlechner (*1996) ist bildender Künstler und Fotograph und studiert Fotografie und zeitbasierte Medien an der Angewandten in Wien. Seine Arbeiten wurden international ausgestellt und mehrfach mit Stipendien gefördert. Ausgewählte Werke finden sich in den Sammlungen des Salzburg Museums und des Landes Salzburg. Seine Fotografien werden voraussichtlich 2024 in der Photon Gallery Wien ausgestellt.

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