SOFT spaces, hard questions

Wenn man im Urlaub über eine Ausstellungseröffnung stolpert und sich plötzlich grundlegende Fragen über die Kunstwelt stellt. Über das Projekt SOFT Critique in der Galerie Škuc in Ljubljana.

Ausstellungsansicht SOFT Critique / Matic Pandel ©

Dies ist keine Ausstellung, die man sich kommentarlos ansieht und nach der man entspannt weiter urlaubt: Seit dem 11. August sind in der Galerie Škuc in Ljubljana noch bis zum 24. September Bestandteile und Ergebnisse des Projekts SOFT Critique zu sehen und zu überdenken.

Zunächst handelt es sich bei der Galerie Škuc nicht um einen beliebigen Kunstort, einer der Gründe, warum ich ihn bei meinem eintägigen Aufenthalt in Ljubljana aufsuchen wollte. Die kunstgeschichtsträchtige Galerie bietet slowenischen Künstler*innen seit 1978 einen Ausstellungs- und Kommunikationsraum. Sie wurde als Gegenstück zur Ausstellungspolitik der etablierten Nationalgalerien und Institutionen Sloweniens eröffnet und wurde in den 1980ern zum Zentrum der Subkultur Sloweniens.

Ausstellungsansicht SOFT Critique / Matic Pandel ©

Das von Tia Čiček und Seda Yıldız kuratierte Projekt SOFT Critique besteht aus einer Publikation, einer Ausstellung und einer Feedback Session. Die Abkürzung SOFT steht für Success, Opportunities, Failures, Threats und wird normalerweise zur Auswertung von Unternehmen oder Projekten genutzt. SOFT Critique beschäftigt sich hingegen im Rahmen der Kunstbranche mit den Themen Kritik, Diskurs und Feedbackmethoden und welche Rolle Kunst- und Kulturinstitutionen dabei spielen. Es soll ein Raum für „knowledge-experience-exchange and reflection“ geschaffen werden. Der erste Raum, den man betritt, mit seinem alten braun-gelben Fliesenboden lässt einen zunächst mal über die Geschichte der Galerie reflektieren - bis man gedankenverloren fast über zwei quer aufeinanderliegende Matratzen stolpert. Die Untere weiß, die Obere gelb bezogen. Zwei Schritte weiter wird dann gleich klar, dass sich der Kopf hier nicht auf gestapelten Matratzen ausruhen können wird, obwohl das sich Setzen auf alle Ausstellungsstücke erlaubt ist, dazu aber später mehr. Eben jene zwei Schritte weiter hängt stehend balanciert eine mit einem Drahtseil an der Decke fixierte Matratze. Goldig florales Textil, darauf goldene Gedankenblasen, darauf weiße Schrift in Englisch. Die goldenen Bubbles schweben über die Matratzenfläche, ach wie hübsch, aber warte mal, mit schräg gelegtem Kopf muss man sich zunächst mal eine Satzschlange aus den einzelnen Worten zusammenbauen. We can not write about art without writing about ourselves but a new understanding of the “we” subject would mean sharing the privilege of being read. Schon in der Ausstellung habe ich mich direkt angesprochen gefühlt, jetzt, schreibend über Kunst, noch viel mehr. Schon allein diese eine Matratze mit ihrer Wortschlange würde für seitenweise Reflektionen reichen. Doch reflektieren wir bis hierher nur, dass das Schreiben über Kunst ständig überdacht und neu ausgelotet werden muss.

Bitte setzen und plaudern

Dann gehen wir weiter in den links angrenzenden Raum der Galerie, wo sich die Werke mit dem Titel Infrastructure for Storytelling finden lassen. Eine Runde Sitzkissen, auf denen bereits einige Besucher*innen sitzen und bei einer Flasche Wein plaudern; Geschichten erzählen? Erst als nach und nach Menschen aufstehen sehe ich die auf die Kissen gedruckten Worte. Es sind Frageworte: why, who, what, when. Fragen, die sich bei der Auseinandersetzung mit und dem Sprechen über Kunst immer stellen lassen. Die Besucher*innen drücken sich in die Kunstwerke ein, wortwörtlich diesmal. Sie hinterlassen, zumindest kurz, eine Spur, einen Abdruck ihrer Interaktion mit dem Kunstwerk. Der Austausch, der sonst nur auf gedanklicher Ebene stattfindet, wird in eine spürbare Berührung übertragen. Selbst auf einem Why sitzend betrachte ich die braunorange Textilschlange auf der anderen Seite des Raums. Eine sich in Wellen aufbäumende Schlange, wie die beginnende Gedankenschlange in meinem Kopf – was bedeutet es, Kunst zu spüren? Wie kann man über sie schreiben? Wie kann ein Austausch stattfinden? Welche Rolle nehme ich als Betrachterin und Schreiberin ein? –  Der Schlange und anderen Besuchenden folgend gelange ich in den nächsten Raum. Kein Textil mehr, sondern silbrige 2D-Formen, die durch eine Schnur verbunden am Boden liegen. Sie wirken, als könnte oder sollte man sie aufhängen. Doch auch diese Formen darf man betreten, und das ist durchaus leichter, wenn sie am Boden liegen.

Ausstellungsansicht SOFT Critique / Matic Pandel ©

Es gibt die Anweisung der Künstlerin Take off your shoes and ground yourself. So auch der Titel des Werks Infrastructure for Grounding. Die Formen scheinen anthropomorph, ein Schmetterling?, ein Faultier?, eine Schnecke?, auf der anderen Seite wirken sie wie abstrakte Kleckse. Sie reflektieren nicht, glänzen aber, wecken durchaus das Bedürfnis, sie zu berühren. Alle skulpturalen Werke der Ausstellung regen den taktilen Sinn an und zugleich das Nachdenken. Im Slalom um die silbrigen, mysteriösen Formen herum bewegt man sich in den Videoraum, in welchem der Dokumentarfilm A Film About Feedback gezeigt wird. Der Film zeigt, wie die neue Feedback-Methode, die von DasArts in Zusammenarbeit mit dem Philosoph Karim Benammar entwickelt wurde, funktionieren kann. Auf diesem Konzept aufbauend sind auch Feedbackrunden in der Galerie angedacht. In der 55-minütigen Dokumentation wird eine Gruppe Künstler*innen begleitet, die sich gegenseitig auf verschiedene Weisen Feedback geben. Es geht darum, sich gegenseitig zu verstehen und sich Rückmeldung zu geben. Die Künstlerinnen erzählen, dass es normalerweise schwer ist (gutes) Feedback zu bekommen und dann auch noch genug Zeit zu haben, damit arbeiten zu können. In offenen Gesprächsrunden, dann in sogenannten Gossip Rounds, bei denen unter Anwesenheit des/der  Künstler*in über sie gesprochen wird; in persönlichen Briefen werden Assoziationen, Eindrücke und Meinungen geteilt.

Im letzten Raum geht es weiter um das Thema Feedback, bei den restlichen Werken der Gruppe Infrastructure for Feedback. Zwischen drei lila-rosanen Matratzen und einer weiteren braun-orangenen Textilschlange werden Fragen zu Kunst, Kunstkritik und Feedback aufgeworfen. Dem Drang, sich auf eine Matratze zu werfen, muss man nicht widerstehen, da man auch hier herzlich zum Verweilen, zum sich in die Kunst Eindrücken eingeladen ist. Zwei der Matratzen liegen auch recht gemütlich am Boden, die dritte hängt/steht. Bei dieser darf man sich wieder im Querlesen üben. In Diagonalen lässt sich auf einem bläulich-rosanen, wellengemusterten Untergrund, in silbernen Buchstaben lesen: Art can you teach me how to more pristinely observe, listen, see, hear, taste, feel, attend, care? Can we start slowly, softly, to listen and learn from each other?

Große Fragen an die Kunst

Kunst, kannst du das? Ich denke ja, Kunst könnte das. Jedoch nur, wenn ihr Raum und Zeit gegeben werden. Sie darf nicht in Sekundenschnelle an uns vorbeiziehen, vielleicht müssen wir uns gelegentlich auf sie setzen, ihre Botschaften mit schräg gelegtem Kopf entziffern, um auch über unsere Wahrnehmung in Ruhe nachdenken zu können, um dann unsere Gedanken vielleicht auch in Form eines Feedbacks formulieren zu können. Das Projekt SOFT Critique ist eine Einladung, sich aktiv an der Gestaltung des Diskurses über zeitgenössische Kunst zu beteiligen. Eine Einladung, die auch Bohema an alle Schreibenden und Lesenden richtet. Die Ausstellung mit ihrer site-specific installation von Valentina Karga, den Matratzen, Kissen, Schlangen und Formen bietet auf jeden Fall das passende Setting.
Sich auf eine Matratze oder ein Sitzkissen setzend, setzt man sich direkt in die Kunst und direkt in die Buchstaben, die uns fragen, wie das Miteinander mit der Kunst denn funktionieren kann. Die Wechselwirkungen zwischen Kunstwerken, Künstler*innen, Rezipienten und Schreiberinnen müssen mehr in den Fokus rücken. An der steigenden Anerkennung der Wichtigkeit von Kunstvermittlung kann man schon sehen, dass der Austausch vermehrt angestrebt wird. Doch was davon kommt bei den Kunstschaffenden oder im öffentlichen Diskurs an? Das Projekt SOFT Critique ist ein Schritt hin zur Sichtbarmachung der Wichtigkeit von Feedback, der Wichtigkeit, einen Raum für aktiven Austausch zu schaffen. Wenn ich über Kunst schreibe, hoffe ich, eine Schnittstelle zwischen Kunst und Rezipientinnen zu schaffen, aber wie könnte daraus ein Feedbackloop werden von dem auch die Künstler profitieren? Mit großen Fragen an die Kunstwelt und viel Motivation, Neues auszuprobieren, verlasse ich die Galerie škuc und schließlich auch Ljubljana. All diese Gedanken nehme ich wieder mit nach Wien.

Ausstellungsansicht SOFT Critique / Jördis Beulich ©

Zum Glück konnte ich meinem eintägigen Aufenthalt in Ljubljana bei sonnig warmem Wetter genießen. Von den Folgen der Flutkatastrophe in Slowenien, die auch die Hauptstadt getroffen hatte, war in der Innenstadt nichts mehr zu spüren. Ich bin dankbar, dass ich mich nur mit Fragen über die Kunstwelt herumschlagen darf und schicke viel Kraft an alle von der Unwetterkatastrophe Betroffenen.

Falls du an die Hochwasserhilfe in Slowenien (sowie Kärnten und die Steiermark) spenden möchtest, geht dies beispielsweise über die Caritas.

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